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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Namen der Lieferwagen dieser verdammten MotoKops (entschuldige, der Power Wagons der MotoKops, la-di-dah) gehören zu den wenigen Dingen, die Seth sagt und die sogar verständlich sind (»Krapfen kauf mir welche« ist auch etwas; und »Seth geht Klo«, was bedeutet, daß man mit ihm da reingehen muß - er ist sauber, hat aber ausgesprochen befremdliche Toilettengewohnheiten). Ich hoffe, er hat nicht begriffen, daß der Gottesdienst bedeutete, der Rest seiner Familie ist tot und für immer dahin. Herb ist sicher, daß er es nicht weiß (»Der Junge weiß nicht mal, wo er ist«, sagt Herb), aber ich bin da nicht so sicher. Das ist das Vertrackte am Autismus, richtig? Man mutmaßt immer, man weiß nie etwas genau, sie senden, aber Gott hat ihnen ein Telefon mit Zerhacker vorgeschaltet, so daß am anderen Ende nichts als unverständliches Gestammel ankommt.
    Eins muß ich Dir sagen - in den vergangenen Wochen habe ich neuen Respekt vor Herb Wyler bekommen. Er hat ALLES arrangiert, von der Überführung bis zu den Todesanzeigen im Columbus Dispatch und dem Toledo Blade. Und daß er Seth aufgenommen hat, ohne ein Widerwort - nicht nur ein Waisenkind, sondern ein autistisches Waisenkind -nun, ich meine, ist das erstaunlich, oder bilde ich es mir nur ein? Ich stimme für erstaunlich. Und er scheint das arme Kind wirklich zu mögen. Wenn er den Jungen manchmal ansieht, bekommt sein Gesicht einen versonnenen Ausdruck, der tatsächlich Liebe ausdrücken könnte. Jedenfalls erste Ansätze.
    Das kommt mir um so bemerkenswerter vor, wenn man bedenkt, wie wenig ein Kind wie Seth zurückgeben kann. Meistens sitzt er nur weggetreten in dem Sandkasten draußen, den Herb gleich nach unserer Rückkehr aus Toledo aufgestellt hat, wie eine große, knabenförmige Rosine, trägt nur seine MotoKops 2200-Unterhosen (den Frühstückskoffer hat er auch), stammelt seine sinnlosen Worte und spielt mit seinen Lieferwagen und den dazugehörigen Action-Figuren, besonders mit der sexy Rothaarigen in den blauen Shorts. Diese Spielsachen beunruhigen mich ein wenig, weil ich nicht sicher bin, woher er sie hat - und wenn Du bis jetzt nicht überzeugt bist, daß ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, dann dürfte dich das wohl endgültig überzeugen, Jan. Als ich Bill und June das letztemal in Toledo besucht habe, hatte Seth mit hundertprozentiger Sicherheit noch keine derartig teuren Spielsachen (ich habe mich bei Toys 'R' Us vergewissert, daß diese MotoKops-Sachen wirklich SEHR kostspielig sind), das kann ich Dir sagen. Außerdem sind es keine Spielsachen, die Bill und Junie gern gesehen hätten - ihre Kaufgewohnheiten bei Spielzeug gingen mehr in Richtung Barney als Krieg der Sterne, sehr zum Mißfallen ihrer Kinder. Der arme kleine Seth kann es mir mit Sicherheit nicht verraten, soviel steht fest, und wahrscheinlich spielt es sowieso keine Rolle. Ich kenne die Namen der Wagen und der Figuren, zu denen sie gehören, auch nur deshalb, weil ich mir Samstag morgens die Zeichentrickserie mit ihm ansehen muß. Der Chefbösewicht, No Face, ist tres gruselig. Er ist so seltsam, Jan (Seth, meine ich, nicht No Face, har-har). Ich weiß nicht, ob Herb das so deutlich spürt wie ich, weiß aber, daß er etwas spürt. Wenn ich manchmal aufschaue und feststelle, daß Seth mich ansieht (er hat so dunkelbraune Augen, daß sie manchmal tatsächlich schwarz zu sein scheinen), fröstle ich regelrecht und bekomme eine Gänsehaut, als würde jemand auf meiner Wirbelsäule Xylophon spielen. Außerdem sind ein paar merkwürdige Dinge passiert, seit Seth bei uns wohnt. Lach nicht, aber wir hatten eine Reihe von Vorkommnissen, die Ähnlichkeit mit den Poltergeist-Phänomenen haben, die sie manchmal in den, wie Herb immer sagt, »Psycho-Reality-Sendungen« zeigen. Gläser, die aus Regalen fallen; zwei Fenster, die ohne ersichtlichen Grund zerbrochen sind; und seltsam krakelige Spuren, die nachts manchmal in Seths Sandkasten auftauchen. Sie sind wie seltsame, surrealistische Sandgemälde. Nächstesmal schicke ich Dir ein paar Polaroidfotos mit, wenn ich daran denke. Außer Dir würde ich keinem Menschen etwas davon erzählen, Jan, glaub mir. Gott sei Dank kenne ich Dich und vertraue auf Deine Unvoreingenommenheit ... Deine Neugier ... und Deine DISKRETION.
    Meistens macht Seth keine Probleme. Das Schlimmste an seiner Gegenwart ist die Art, wie er atmet! Er holt mit tiefen, blubbernden Zügen Luft, immer durch den Mund, den er ständig offen hat. Dadurch sieht er aus wie

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