Regulator: Roman
sein fehlendes Spielzeug gefunden haben. Aber wer wird die schlechte Nachricht hören? Seth, der nur enttäuscht dreinschauen (und vielleicht ein bißchen weinen) wird? Oder der andere? Der Staksende, der Dinge durch die Gegend wirft, wenn er nicht bekommt, was er will?
Ich habe überlegt, ob ich noch einmal mit ihm zum Arzt gehen soll, logisch, und ich bin sicher, Herb auch... aber nicht ernsthaft. Nicht nach dem letztenmal. Wir waren beide da & haben beide gesehen, wie sich der andere, der Nicht-Seth, versteckt. Wie Seth es ihm ermöglicht, sich zu verstecken: Autismus ist ein verdammt guter Schutzschild. Aber das wahre Problem ist nicht Autismus, es spielt keine Rolle, was alle Ärzte auf der Welt sehen oder nicht sehen. Wenn ich meinen Geist öffne & alles verdränge, was ich hoffe & was ich wünsche, dann weiß ich das. Und als wir versuchten, mit dem Arzt zu reden und ihm zu sagen, warum wir wirklich da waren, konnten wir es nicht. Ob jemand, falls dieses Tagebuchjemals gelesen wird, verstehen kann, wie schrecklich das ist, wenn man so etwas wie eine Hand spürt, die einem über den Mund gelegt wurde und die Verbindung zwischen Stimmbändern und Zunge unterbricht? VERDAMMT, WIR KONNTEN NICHT SPRECHEN. Ich habe solche Angst.
Angst vor dem Staksenden, ja, aber auch Angst vor anderen Dingen. Manche Ängste kann ich überhaupt nicht ausdrücken, manche nur zu gut. Im Augenblick graut mir am meisten davor, was mit uns geschehen wird, wenn wir den Dream Floater nichtfinden können. Diesen gottverdammten, albernenpinkfarbenen Lieferwagen. Wo kann das verdammte Ding sein? Wenn wir es nur finden könnten -
Kapitel 8
1
In dem Augenblick, als Kirsten Carver starb, dachte Johnny an Bill Harris, seinen Literaturagenten, und Bills Reaktion auf die Poplar Street: reines, ungespieltes Entsetzen. Da er ein guter Agent war, hatte er auf der Fahrt vom Flughafen die ganze Zeit ein neutrales, wenn auch etwas starres Lächeln gewahrt, aber das Lächeln wurde zunehmend verzerrter, als sie den Vorort Wentworth erreichten (bei dem es sich, wie man einem Schild entnehmen konnte, um OHIOS »GUTE LAUNE«-GEMEINDE handelte), und es verschwand völlig, als sein Klient, den man einst in einem Atemzug mit John Steinbeck, Sinclair Lewis und (nach Delight) Vladimir Nabokov genannt hatte, in die Einfahrt des kleinen und vollkommen anonymen Vororthauses an der Ecke Poplar und Bear einbog. Bill hatte von dumpfer Fassungslosigkeit erfüllt den Rasensprenger betrachtet, das Aluminiumfliegengitter mit dem verschnörkelten M in der Mitte und den Inbegriff des Vorortlebens, einen motorisierten Rasenmäher mit Grasflecken, der in der Einfahrt stand wie ein Benzingott, der nur darauf wartet, angebetet zu werden. Von da hatte Bill den Blick auf einen Jungen gerichtet, der mit einem Walkman auf den Ohren, einer schmelzenden Eistüte von Milly's in der Hand und einem glücklichen, hirnlosen Grinsen in seinem pickeligen Gesicht mit einem Skateboard den gegenüberliegenden Bürgersteig entlangrollte. Das war vor sechs Jahren gewesen, im Sommer 1990, und als Bill Harris, der einflußreiche Agent, Johnny wieder angesehen hatte, war das Lächeln endgültig verschwunden gewesen.
Das kann nicht dein Ernst sein, hatte Bill mit einer tonlosen, ungläubigen Stimme gesagt. O doch, Bill, mein völliger Ernst, hatte Johnny geantwortet, und etwas in seinem Tonfall schien zu Bill durchzudringen, zumindest so viel, daß er sich flehentlich anhörte, als er wieder das Wort ergriff, und nicht mehr ungläubig. Aber warum? fragte er. Gütiger Gott, warum hier? Ich kann spüren, wie mein IQ fällt, und dabei bin ich eben erst angekommen. Ich verspüre den fast unwiderstehlichen Drang, den Reader's Digest zu abonnieren und mir Talkshows im Radio anzuhören. Also sag mir, warum. Ich denke, das bist du mir schuldig. Zuerst dieser gottverdammte Miezetatzendetektiv, und jetzt ein Viertel, wo Obstsalat wahrscheinlich als Delikatesse betrachtet wird. Sag mir, was das zu bedeuten hat, okay? Und Johnny hatte geantwortet, okay, es hat zu bedeuten, daß alles vorbei ist. Nein, selbstverständlich nicht. Belinda hatte das gesagt. Nicht Bill Harris, sondern Belinda Josephson. Gerade eben. Johnny konzentrierte sich mit einiger Anstrengung und sah sich um. Er saß auf dem Wohnzimmerboden und hielt eine Hand von Kirsten zwischen seinen. Die Hand war kalt und reglos. Belinda hatte sich mit einem Küchentuch in der Hand und einem quadratischen Stück weißen Leinens -Johnny fand, daß es
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