Reibereien
okay. Aber du könntest ja ab und zu mal vorbeikommen. Du könntest dir die Zeit nehmen, mich zu besuchen. Ich langweile mich tödlich, wenn Richard nicht da ist. Und ich muß dir geste hen, ich muß dir sogar gestehen, daß ich, selbst wenn er da ist... Ja, ja, ich weiß, was du mir darauf antworten wirst.«
»Daß es eine alte Geschichte ist. Das antwo rt e ich dir darauf.«
Sie tat ganz erstaunt und wog mit der Hand eine Melone ab.
»Na gut«, fuhr ich fort, »vielen Dank für deine Einladung. Ich besuche dich bestimmt irgendwann, aber ich kann noch nicht sagen, wann. Du weißt ja, wie das ist. Ich komme an einem der nächsten Tage vorbei, um mit den Kindern schwimmen zu gehen. Das verspreche ich dir. Aber ich bleibe nicht lange.«
»Sag mal, das tust du wohl extra!«
»Hör zu... du bringst mich wirklich zum La chen. Du bist unglaublich. Vor fünf Jahren hab ich dich auf den Knien angefleht und bin dabei voll auf
die Schnauze gefallen, wirklich voll auf die Schnauze, und jetzt meinst du, du bräuchtest nur mit den Fingern zu schnippen? Das ist wirklich das Schärfste. Das Schärfste, was mir je begegnet ist.«
Ich erzählte Vincent die ganze Geschichte, Vin cent, der auf dem holprigen Weg neben mir hin und her geschüttelt wurde, während er mit einer Flasche in der Hand dasaß und vor sich hin döste.
»Nein, manchmal fragt man sich echt, ob sie nicht ein Brett vorm Kopf haben«, sagte ich mit ei nem höhnischen Lachen und fuhr ziemlich rasant die kleine Straße entlang, die sich in ihrem leuchtenden Kleid durch die Bäume schlängelte. »Nein, man fragt sich echt, wie sie auf so was kommen.«
»Fahr nicht so schnell«, stöhnte er. »Ich bin krank.«
»Natürlich bist du krank. Du bist ständig krank. Aber was sagst du zu dieser Frau, die es wagt, mich anzuschnauzen, nur weil ich sie nicht besuche? Hast du die Geschichte mitgekriegt? Wenn das keine Frechheit ist!«
Plötzlich beugte er sich aus dem Fenster und be gann sich lautstark zu übergeben.
Schleimfäden blieben zwischen seinem Mund und der Karosserie kleben, andere hingen an seinem Kinn. Aus seinen Augen strömten Bäche von Tränen. Als er sich wieder setzte, bot ich ihm eine Zigarette an.
»Sie hat mich gefragt: Was ist denn das für ein Wrack, das du da anschleppst? Und ich habe geant wortet: Das ist der Typ, der den Platz meines Vaters einnehmen soll. Ich war nicht gerade stolz auf dich, das kannst du mir glauben.«
Er zeigte mir bis zum Einbruch der Dunkelheit die kalte Schulter.
Manchmal hörte ich, wie er Selbstgespräche führte, als sei er verrückt geworden. Wenn er vom Stuhl fiel - was ihm mindestens dreimal an diesem Nachmittag passierte -, dauerte es eine Ewigkeit, ehe er sich wieder aufrappelte, es war, als müsse er einen Berg erklimmen.
Während ich mich auf der Veranda sonnte, beobachtete ich ihn über den Rand eines Buches hinweg und spürte, daß seine Stunde nahte. Jeden Tag wirkte er noch jämmerlicher als am Tag zuvor, und jeder Tag war jämmerlicher als der Tag zuvor.
Als meine Mutter anrief - der Himmel war dunkelrot und schon mit Sternen übersät-, war Vincent draußen und wetterte gegen den Himmel, drohte ihm mit einer Flasche in der Faust.
»Hörst du ihn?« fragte ich meine Mu tt er, die sich offenbar Sorgen machte. »Wärst du vielleicht bereit gewesen, das zu ertragen? Du müßtest ihn jetzt mal sehen. Du könntest dich ihm nicht mal nähern.«
Sie wollte wissen, wo wir waren, was ich ihr bisher absichtlich verheimlicht hatte, um nicht gestört zu werden.
»Was bringt das schon, wenn du weißt, wo wir sind? Was solltest du hier anfangen, hm? Ich sage dir, das ist das reinste Trauerspiel. Vergiß diesen Ty pen so schnell wie möglich, den gibt's nicht mehr, glaub mir das. Du weißt doch, daß ich es gut mit dir meine. Ich weiß es jedenfalls. Und dieser Typ ist weder dein Mann noch mein Vater, merk dir das ein für allemal. Diese Tortur hat uns der Himmel zum Glück erspart. Mama, wir können dem Himmel danken, daß er uns diese verdammte Tortur erspart hat.«
»Mama? So hast du mich schon lange nicht mehr genannt.«
»Du bist meine Mu tt er. Ich kann dich nennen, wie ich will.«
Als Vincent zurückkam, beendete ich das Ge spräch.
»Ich will sie nicht sehen«, stieß er mit dumpfer Stimme hervor und ließ sich auf einen Stuhl aus Teakholz fallen.
»Das ist aber nicht sehr nett von dir. Eine Frau, die an dich geglaubt hat. Eine Frau, die dich gern gehabt hat. Eine Frau, die du noch vor ein
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