Reibereien
die Kraft dazu hast. Es sieht so aus, als hättest du nicht mehr viel.«
Später rutschte er vom Stuhl und stürzte zu Bo den.
Ich ließ ihn dort liegen.
Am nächsten Morgen teilte ich ihm mit, daß je der seine Wäsche selbst waschen müsse.
Ich sprach nicht mehr darüber, bis ich ihn eines Abends darauf aufmerksam machte, in welchem Zustand er war. Er hatte sich, seit wir angekom men waren, weder umgezogen, ge- waschen noch gekämmt, er war schmutzig, und an seinen Mundwinkeln klebten getrocknete weiße Speichelreste.
»Du gibst ein jämmerliches Bild ab«, sagte ich zu ihm. »Sieh dich nur mal an. Ich bin froh, daß du nicht mein Vater bist.«
Zur Antwort goß er gleich mehrere Gläser hin unter. Dann versuchte er aufzustehen, um mich al lein zu lassen, aber er verlor das Gleichgewicht und stürzte der Länge nach auf den Boden.
Ich ließ ihn dort liegen. Als er aufwachte und zu mir auf die Veranda kam, wo ich gerade den Revolver untersuchte, den ich gekauft hatte, erzählte ich ihm, daß meine Mutter angerufen hatte und die Absicht habe, uns zu besuchen.
»Was? Auf keinen Fall«, sagte er resigniert und lehnte sich an einen Pfeiler.
Ich legte den Revolver wieder in die Schachtel und schloß den Deckel.
»Ich wüßte nicht, wie wir sie davon abbringen könnten«, erklärte ich.
Man hörte die Grillen, manchmal einen Frosch, der ins Wasser sprang, das Knacken eines trocke nen Asts oder einen Vogel, der davonflatterte. In diesem Augenblick wurde ich Zeuge seiner ersten Säufertränen, seines ersten Gejammers.
Ich half ihm, sich wieder in den Sessel zu setzen. Und ich verbrachte einen Teil der Nacht damit zuzuhören, wie er stöhnte, wie er hustete, wie er die Liste all seiner Mißgeschicke und Demütigungen aufzählte, die ihm zwangsläufig widerfuhren. Ich nutzte die Gelegenheit, um die Angelschnüre mit Ködern zu versehen und den Mond zu betrachten, der sich im See spiegelte, wenn mich Vincent nicht gerade am Ärmel zupfte, um mir zu gestehen, wie sehr er sich schäme.
Er schämte sich und hatte keine Lust, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, aber als ich ihm eines Morgens versicherte, daß ich nicht die Absicht ha be, ihm Alkohol mitzubringen, und daß er schon mitkommen müsse, um ihn sich selbst zu besor gen, legte er sich mit angezogenen Beinen auf die Rückbank des Autos, zitterte trotz der Hitze und sagte keinen Ton.
Er machte großen Eindruck im Supermarkt. Er sah aus, als sei er einem frisch zugeschaufelten Grab entstiegen. Die Leute wichen bei seinem Anblick zurück, und die Angestellten des Geschäfts runzelten die Stirn, aber alles hatte eben seinen Preis, wie ich zu ihm sagte. »Wenigstens hast du dir noch nicht in die Hose gemacht«, fügte ich hinzu, »meines Wissens zumindest.«
Es ging jedoch ein unangenehmer Geruch von ihm aus. Wenn er im Bungalow kotzte, half es auch nichts, daß er sich die Zähne putzte, ich war gezwungen, ihn mir eine Weile vom Leib zu halten. Seine Kleidung hatte einen säuerlichen Schweißgeruch angenommen, und er ging barfuß in seinen violetten Schuhen, die er aus irgendeinem ungenannten Grund nicht mehr ausziehen wollte.
Und Kinder sind gnadenlos.
Wie ich mir schon gedacht hatte, weigerte sich Lili, sich ihm zu nähern. Die beiden anderen such ten Zuflucht am Rockzipfel ihrer Mutter, die eine Grimasse unterdrückte, als ich ihr Vincent vor stellte.
Er hielt Carole seine zitternde Hand hin, die sie nur flüchtig berührte, während Lili und die beiden anderen kehrtmachten und recht laut ein paar ver letzende Bemerkungen über Vincent wechselten, und zwar, daß er sie zum Kotzen bringe und stinke wie ein Dutzend Schweine, denn Kinder sind gnadenlos.
Carole verwandte das Wort Wrack für ihn, nachdem wir ihn vor einer Wand aus Flaschen - wie vor der Klagemauer - mit seiner Scham, seiner Gier und all dem Wirrwarr, das im Kopf eines Alkoholikers im Endstadium herrscht, zurückgelassen hatten.
»Er hat schon zwei Entziehungskuren hinter sich«, erklärte ich Carole. »Eine Weile hat er durchgehalten, aber dann ist er wieder rückfällig gewor den.«
»Deine arme Mutter.«
»Ja, da hast du recht. Diesmal hat sie das große Los gezogen.«
»Ach weißt du, gegen manche Dinge kommt man einfach nicht an.«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber wie dem auch sei, das ist wirklich ein Problem.«
»Verbringst du etwa deine ganze Zeit mit ihm? Tust du nichts anderes als das?«
»Ich mußte irgendein Mittel finden, um sie zu trennen, verstehst du?«
»Ja,
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