Reibereien
sein konnte wie ich.
Ich rief meine Mutter an. Ich erzählte ihr, daß alles in Ordnung sei und ich bald wieder in die Stadt zurückkäme.
»Ich tue, was ich kann, das weißt du ja. Also denk an etwas anderes. Sag Olga, sie solle mit dir ausgehen.«
Das Wasser war jetzt spiegelglatt. Der See hatte meine Spur verschluckt, während ich mit meiner Mu tt er sprach. Ich freute mich, daß ich ein paar Worte mit ihr wechseln und spüren konnte, daß sie nicht allzu fern war.
»Vielleicht schreibe ich eines Tages ein Buch über deine Abenteuer«, sagte ich im Scherz.
Der Mond glänzte, der Himmel war wolkenlos. Ich beendete das Gespräch und hoffte, daß diese Geschichte, wie auch immer sie enden mochte, ihr nicht allzu nah gehen würde.
Ich streckte mich eine Weile auf dem Boden des Boots aus, betrachtete den Himmel und fragte mich, was einen Mann dazu veranlassen konnte, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, und ob es ein ausreichender Grund war, wenn man das Leben anderer Menschen zerstört hatte.
Dann richtete ich mich wieder auf und ruderte in Richtung von Caroles Haus.
»Du kommst gerade richtig«, sagte sie zu mir. »Es ist eine Ratte im Haus. Hinter dem Kühlschrank.«
Ich fühlte mich nicht wirklich dazu in der Lage, mitten in der Nacht eine Ratte zu jagen, aber sie hielt mir entschlossen die Schaufel hin, die sie in der Hand hatte.
»Hinter dem Kühlschrank also, hast du gesagt.« Sie nickte. Sie war im Schlafanzug. Wir gingen in die Küche.
»Okay. Du ziehst den Kühlschrank weg und ich erschlage sie. So machen wir das.«
Anschließend gingen wir in den Garten, um die Ratte zu beerdigen. Carole wollte sie nicht in die Mülltonne werfen und wollte auch nicht, daß ich den Häcksler benutzte. Ich hielt das Tier am Schwanz- ende hoch, während sie nach einer geeigneten Stelle suchte, um es zu verscharren, als es plötzlich wieder lebendig wurde. Es stieß ein gräßliches Quieken aus. Mir wurde fast schlecht. Ich ließ es sofort los, und es verschwand in den Büschen, aber ich mußte mich an einem Baum festhalten.
Carole fragte mich, ob ich ein Gespenst gesehen habe.
»Du hast sie laufenlassen. Das ist zu blöd. Wie konntest du sie nur laufenlassen«, warf sie mir vor und ging auf das Haus zu. »Jetzt geht das Ganze wieder von vorn los.«
A ls erstes solle ich sie nicht mehr Lili nennen, was völlig lächerlich sei, sondern Lilian. Und ich solle sie überhaupt in Ruhe lassen, ganz allge mein.
Ich solle nicht ihr Zimmer betreten, ohne anzuklopfen, ich solle mich nicht in ihre Angelegenheiten mischen, solle sie zufrieden lassen.
»Du mußt schon entschuldigen, aber L il ian war eine Idee deiner Mutter. Ich kann dich nicht einfach von einem Tag auf den anderen Lilian nennen.«
Ich solle ihr nicht dauernd nachspionieren.
»Ich traue wohl meinen Ohren nicht«, sagte ich.
Ich solle aufhören, meine Nase in alles hineinzustecken. Aufhören, sie zu fragen, ob sie auch die Pille nähme, ob jemand sie belästige, aufhören, sie zur Uni fahren zu wollen.
»Die liegt auf meinem Weg. Aber darüber läßt sich reden.«
Ich solle ihr nicht sagen, wie sie sich anzuziehen habe und mit wem sie sich treffen dürfe.
Ich solle ihr überhaupt nichts sagen.
»Na schön, L il ian. Aber das werde ich nie schaf fen.«
Es war plötzlich Winter geworden und schneite im Dezember. Ich wußte nicht, wann genau sich die Beziehung zu meiner Tochter geändert hatte, aber daß sie sich geändert hatte, war nicht zu leugnen.
Dabei war ich darauf vorbereitet. Wußte, daß ein Vater eines Tages damit konfrontiert wird. Hatte damit gerechnet. All diese nicht ganz astreinen Famili engeschichten waren meine Spezialität. Ich hatte die Sache schon lange kommen sehen.
Ich hatte mich auf langen Spaziergängen, oder wenn ich allein zu Hause war, darauf vor- bereitet, als sie anfing, die vereinbarte Uhrzeit nicht mehr einzuhalten — und mich anschließend achselzuckend zum Teufel jagte.
Ich hatte damit gerechnet, daß sich das Gespenst ihrer Mutter zwischen uns stellen würde.
Sie war mit Lili schwanger, als sie bei der Explosion einer undichten Gasleitung das Leben verlor. Ich hatte mich nicht besonders gut mit ihr verstanden.
Sie war Model. Damals nahmen wir beide Dro gen und gingen auf Partys, wo Paare ganz furcht bar herunterkamen. Eines Tages geriet Lili vor einem Stapel alter Zeitschriften in Ekstase, und da stellte ich ihr das Werk ihrer Mutter vor. Lili war begeistert.
Vielleicht war das der
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