Reich der Schatten
König dazu gebracht hatte, sie zu unterstützen. Sie hatte Macht über ihn, doch sie hat ihn nicht getötet, weil sie ihn für das Leben, das sie führen wollte, brauchte. Aber die Allianz deines Großvaters, die gab es damals schon, und sie war ebenfalls sehr mächtig. Schließlich blieb dem König nichts anderes übrig, als seine Geliebte unschädlich zu machen. Und die Allianz sorgte immerhin dafür, dass sie in den passenden Materialen bestattet wurde – Blei, Messing, Silber, Kupfer, Gold. Der Sarg wurde mit geschmolzenen Metallen versiegelt, und das Kreuz darauf bestand ebenfalls aus diesen Metallen. All das sorgte dafür, dass sie aus diesem Sarg nicht mit eigener Kraft entkommen konnte. Aber sie wurde von jemandem zurückgeholt, von jemandem, der sie unbedingt zurückhaben wollte. Hier ist eine andere Kraft am Werk, eine alte, sehr mächtige Kraft. Um wen es sich dabei handelt, konnten wir bislang noch nicht herausfinden, und leider auch nicht, wo sie sich versteckt halten.«
Sie waren verrückt, die ganze Sache war verrückt. Als Tara zum wiederholten Mal dieser Gedanke durch den Kopf ging, hatte sie das dringende Bedürfnis, einen Moment lang allein zu sein.
Sie drehte sich um und ging mechanisch in ihr Zimmer.
Sie schloss die Tür.
Doch die Tür ging sofort wieder auf.
Die beiden Männer waren ihr gefolgt. »Tara, du kannst nicht davor wegrennen«, sagte Brent. »Du musst mir zuhören. Ich versuche mein Bestes, dir alles zu erklären, dir klarzumachen, warum du tun musst, was ich dir sage. Und ich will dir ja auch erklären, wer ich bin und warum …«
Plötzlich hielt er inne und starrte auf etwas in ihrem Zimmer.
Tara folgte seinem Blick.
Ihr fiel nichts Besonderes auf, alles war wie immer: das Bett, die Stühle, der Schreibtisch, der Balkon, die geschlossenen, von Knoblauch umrahmten Türen, ihre Koffer in der Ecke, ihre Staffelei, an der das Bild klemmte, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte.
Sie sah auf Rick, doch der wirkte ebenso ratlos wie sie.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Die Zeichnung«, sagte Brent schroff.
Sie ging zu ihrer Staffelei. »Was ist damit? Die Schatten auf dem Gebäude? Der Wolf? Der Mann?«
»Der Mann«, ächzte er.
»Das ist doch nur Kommissar Trusseau, der Fachmann für Spurensicherung aus Paris.«
»Tara!« Zu ihrer Verwunderung rief eine sanfte, weibliche Stimme ihren Namen.
An der Schwelle stand Ann.
Ihre Cousine war aufgestanden – eine klassische Schönheit, blass und ein wenig verhärmt, in ein fließendes Nachthemd gekleidet. Sie stützte sich am Türrahmen ab.
»Ann!« Tara wollte zu ihr eilen und ihr helfen. Sie hatte Angst, dass Ann zusammenbrechen würde, so bleich und schwach, wie sie wirkte.
Doch Ann winkte ab.
»Das ist nicht Kommissar Trusseau«, sagte sie ungeduldig. »Tara, warum hörst du mir nie zu? Erinnerst du dich denn nicht? Ich habe dir diesen Mann im Café gezeigt. Das ist Willem.«
»Willem?«, fragte Tara.
»Richtig, Willem.«
»Nein«, sagte Brent. Noch nie hatte seine Stimme so scharf geklungen, noch nie war er so angespannt gewesen wie in diesem Moment, als er da stand, die Fäuste geballt, den Blick starr auf die Zeichnung gerichtet. »Das ist nicht Trusseau, und das ist auch nicht Willem. Das ist Andreson.« Er sprach den Namen so verächtlich aus, als wäre der Mann das größte Scheusal auf Erden, das Böse in Person.
Weiter sagte er nichts. Er erstarrte nur wie vom Blitz getroffen, stieß einen heftigen Fluch aus und rannte zur Tür.
Tara eilte ihm nach und wollte ihn festhalten. »Brent, warte! Wovon redest du überhaupt?«
Er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege, doch dann sah er sie noch einmal reumütig an. »Ich kann nicht warten. Ich werde dir später alles erklären. Dein Großvater … hier passiert etwas Schlimmes. Und zwar genau in diesem Augenblick.«
17
Krank vor Sorge stürmte Lucian in die Hotelsuite. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass schon alles vorüber war.
»Jade?« Er schickte ein stilles Stoßgebet zum Himmel, während er nach ihr rief und sich umsah.
Schließlich erblickte er sie – sie war neben den Balkontüren zusammengebrochen, den offenen Balkontüren. Er beugte sich hinab, strich ihr mit zitternder Hand die Haare aus dem Gesicht, tastete nach ihrem Puls.
Sie stöhnte leise und drehte sich auf den Rücken. Dann öffnete sie die Augen, sah ihn an, blinzelte, versuchte aufzustehen.
»Oh Gott, Lucian! Ich habe versagt!«
»Pst!«, beruhigte er sie und schloss sie behutsam in
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