Reich der Schatten
noch einmal ganz von vorn«, meinte Brent ungeduldig. »Es gibt verschiedene Kräfte auf dieser Welt, die hat es immer gegeben und die wird es immer geben. Manche kämpfen für die Normalität, für das Recht eines jeden zu leben, für den Frieden, wenn man so will, für die guten Dinge im Leben. Doch es gibt auch Kräfte, denen es nur um Macht geht und die ihre Bedürfnisse und egoistischen Ziele über alles stellen. Früher herrschte oft Krieg, und auch heute toben mancherorts noch Kämpfe. Vor langer Zeit stritten die verschiedenen Stämme um Lebensraum. Tod und Zerstörung gehörten zum Alltag. Doch auch als die Welt zivilisierter wurde, herrschten noch Kriege. Es gab immer Auseinandersetzungen um Land und um Macht. Bei all dem Tod und der Verwüstung fielen weitere Opfer und weitere Verwüstungen kaum auf. Bis ins letzte Jahrhundert zogen Männer auf der ganzen Welt in den Krieg. Und bis in unser Jahrhundert hinein schlagen Männer ihre Schlachten auf die unterschiedlichsten Weisen, und auch heute noch führt dies zu Tod und Verderben. Die Kriegsbeute sicherte vielen das Überleben. Aber es stimmt nicht, dass ein Vampir die Hülle des Bösen ist, ein seelenloses Wesen. Der Vampirismus ist eine Art Krankheit, eine uralte Krankheit, die unheilbar ist, aber kontrolliert werden kann. Und manche behalten sogar ihre wahre Seele und sehnen sich nach etwas anderem, vielleicht nach der Ewigkeit, wie es ganz normale Sterbliche tun. Sie glauben an ein höheres Wesen, an etwas hinter all dem Irdischen, und sie achten das Leben. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich vieles verändert. Und jetzt … die, die jetzt zu uns kommen, die nicht völlig vernichtet, sondern ›verwandelt‹ werden, die können genauso sein wie in ihrem ersten Leben. Wer zu Gewalt neigte, hungert nach mehr Gewalt und nach Macht. Jeder ›Verwandelte‹ hat mit seinem Hunger zu kämpfen. Jeder wird mit einem freien Willen geboren und kann sich entscheiden, ob er sich für den Frieden oder für die Rache einsetzen will. Und in seinem anderen Leben ist das genauso.«
Tara starrte ihn verständnislos an.
»Ich war Polizist«, erklärte Rick wehmütig.
»Polizist?«
»Jawohl, ein Polizist, in New Orleans.«
»Wann?«, fragte Tara.
Rick zuckte mit den Schultern. »Vor nicht allzu langer Zeit.«
»Sie sind also nicht einer modrigen Gruft entstiegen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein sehr junger Vampir«, erklärte er. »Im Gegensatz zu Lucian.«
Taras Blick wanderte zu Brent. »Dein Freund Lucian ist also ein alter Vampir?«
»Ein sehr alter.«
»Wann wurde der denn aus seinem Grab geholt?«
Brent lächelte. »Nie.«
»Aha. Er wurde also als Vampir geboren.«
»Nein, aber er wurde verwandelt, als die Welt sich in einem dauernden Kriegszustand befand. Seitdem ist er geblieben, wie er damals war.«
»Und seine Frau Jade?«, fragte Tara.
»Nein, die nicht«, erwiderte Rick.
»Aber …«
»Sie wurde nie verwandelt«, erklärte Rick.
Tara verstand inzwischen gar nichts mehr. »Das kann doch nicht wahr sein!«, ächzte sie matt.
»Aber so ist es nun mal«, meinte Brent und fuchtelte ungeduldig mit der Hand in der Luft herum. »Wirf doch nur mal einen Blick in die Vergangenheit, bedenke, was früher alles passiert ist, beschäftige dich mit den Legenden, die man sich schon seit Jahrhunderten erzählt.«
»Dann bist du also auch ein Vampir?«, fragte sie und starrte ihn herausfordernd an. »Du hast mich belogen, du hast mir gesagt, dass du keiner bist, aber du treibst dich mit ihnen herum, also bist du doch einer.«
Er wich ihrem Blick nicht aus. »Ich bin kein Vampir«, sagte er, »ich bin …«
Sie hob abwehrend eine Hand. »Sag es nicht. Sag mir bitte nicht, dass du zu der großartigen Allianz gehörst, von der mein Großvater immer faselt. Ich glaube nicht, dass … dass … oh mein Gott – das ist doch alles völlig verrückt! Diese Frau, diese eine Frau ist aus ihrem Grab gestiegen, weil sie nicht vollständig vernichtet worden ist. Weil der König sie so sehr liebte, dass er sie nicht köpfen lassen wollte. Und jetzt ist sie ausgegraben worden und treibt sich hier irgendwo herum. Die Polizei hat keine Ahnung, mit wem oder was sie es eigentlich zu tun hat, bis auf Rick, der früher als Polizist in New Orleans gearbeitet hat. Und jetzt sind weitere Vampire gekommen, um die Frau aufzuhalten?«
»Du hast es noch immer nicht ganz verstanden«, meinte Brent. »Sie ist nicht allein. In ihrem letzten Leben war sie so mächtig, weil sie den
Weitere Kostenlose Bücher