Reich der Schatten
die Zeitungen der letzten paar Wochen durchsehen. Vielleicht erfahre ich auf diese Weise mehr über die Vermissten. Aber ihr zwei legt euch jetzt bitte hin!«
»Ich weiß nicht, ob ich einschlafen kann«, meinte Brent. Er raufte sich die Haare. »Ich bin schuld an dem, was passiert ist. Ich hatte ja die Vermutung, dass … Aber ich wusste es nicht mit Bestimmtheit. Wenn ich nicht so weit gegangen wäre, hätte Jean-Luc den Sarg nicht öffnen können. Und jetzt … Jetzt mache ich mir Sorgen um ganz Paris, und vor allem um die junge Frau. Sie ist wirklich gefährdet, weitaus mehr, als sie je vermuten würde. Vor allem, weil sie eine DeVant ist.«
»Du warst immerhin da, Brent. Ich hingegen hatte noch nicht einmal so viel Ahnung, um mir Sorgen zu machen«, meinte Lucian.
»Aber das hat nicht viel geholfen.«
»Vielleicht mehr, als du denkst.«
»DeVant wusste Bescheid«, sagte Brent. »Deshalb hat er seine Enkelin losgeschickt.«
»Er ist alt und krank, aber sein Geist scheint noch stark zu sein«, sagte Lucian.
»Wenn er geahnt hätte, was passieren würde, hätte er seine Enkelin nicht geschickt. Sie hat übrigens eine Cousine, Ann DeVant. Aber die beiden verstehen offenbar nicht so recht, was hier vor sich geht. Sie schweben beide in höchster Ge-fahr.«
»Das Problem mit den Mädchen lässt sich leicht lösen«, behauptete Jade.
»Und wie?«, fragte Brent.
»Wir statten dem Château DeVant einen Besuch ab, und zwar so bald wie möglich. Früher oder später müssen wir das sowieso.«
»Ja, wir müssen dorthin. Wir sollten uns mit den Bewohnern anfreunden«, schlug Lucian vor. Er stand auf und sah seine Frau an. »Sieh dich vor, auch bei Tag! Pass auf dich auf!«
»Ich weiß schon, was ich tue, zumindest meistens«, versicherte sie ihm.
»Ich weiß nicht, ob ich ausruhen kann, ob ich es wage, mich auszuruhen«, meinte Brent. »Tara Adair war in der Grabkammer. Sie wollte unbedingt mit zur Polizei, und letztlich wird sie wohl aus Pflichtgefühl eine Aussage machen. Womöglich geht auch von der Polizei Gefahr aus. Wir wissen nicht, wer sich momentan dort draußen herumtreibt. Aber wenn die sie erwischen, bevor wir es tun …«
»Nein, das werden sie nicht. Noch nicht. Nicht bei Tag. Und auch wenn sie zur Polizei gehen möchte – ich glaube, Jacques wird sie davon abhalten«, meinte Lucian.
»Wenn du ihr helfen willst, Brent, dann musst du dafür sorgen, dass du körperlich und geistig fit bist«, gab Jade zu bedenken. Sie musterte ihn nachdenklich. »Aber es gibt natürlich eine Möglichkeit, wie du schlafen und sie gleichzeitig beschützen kannst.«
»Und die wäre?«
»Schlaf bei ihr.«
6
Der Tag war wahnsinnig hektisch. Ein lächerliches Meeting nach dem anderen.
Es war fast schon zwei Uhr, und Ann hatte noch nicht einmal genug Zeit für eine Tasse Kaffee gehabt.
Um zwei legte sie die Meeting-Protokolle auf einen Stapel, stand auf, nahm ihre Handtasche und ging zu ihrer Sekretärin. »Henriette, ich brauche unbedingt einen Kaffee und ein bisschen frische Luft. Es ist mir egal, wer jetzt anruft, ich mach jetzt mal Pause.«
»Selbstverständlich. Ich wimmle alle Dämonen ab«, erklärte Henriette, hübsch, jung und ihrer Chefin treu ergeben.
Ann lächelte ihr dankbar zu und eilte hinaus. In einem kleinen Café bestellte sie an der Theke einen Kaffee und ein Croissant, auch wenn es das letzte in der Vitrine und wahrscheinlich vertrocknet war. Die Frau hinter der Theke hatte alle Hände voll zu tun und reichte ihr alles auf einmal, während Ann noch nach ihrer Geldbörse kramte. Ein Mann neben ihr half ihr, indem er für sie den Kaffee und das Croissant entgegennahm.
Sie blickte überrascht auf und murmelte ein kleines »Merci«.
»De rien«, erwiderte er, allerdings mit starkem Akzent. Als sie ihn daraufhin noch einmal genauer betrachtete, konnte sie den Blick kaum von ihm wenden.
Er war groß, blond, stattlich und lächelte sie überaus charmant an. Ihre Hand erstarrte in ihrem Geldbeutel.
»Sie wirkten, als ob Sie ein wenig Hilfe gebrauchen konnten«, sagte er auf Englisch. »Ach, entschuldigen Sie, sprechen Sie überhaupt Englisch?«
»Ja, ja, kein Problem«, sagte sie lächelnd. »Und tausend Dank.«
Die Frau hinter der Theke räusperte sich ungeduldig. Ann schob ihr ein paar Euro hinüber und nahm dem Amerikaner ihre Bestellung ab.
»Ich sitze dort drüben. Es gibt keine freien Tische mehr, aber Sie können sich gerne zu mir setzen«, erklärte der junge Mann
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