Reich der Schatten
zu bleiben. Doch ein Jahr später starb die Ärmste, und der König heiratete noch einmal. Er soll ein ausgesprochen guter Liebhaber gewesen sein«, berichtete Jacques.
»Darüber steht in den Geschichtsbüchern nicht allzu viel«, meinte Tara.
»Jedenfalls war der König bekannt dafür, dass er Dutzende Mätressen hatte, bis er sich endlich dazu durchrang, seiner Gemahlin die Treue zu halten. Immerhin besaß er so viel Anstand, viele seiner unehelichen Kinder anzuerkennen. Einige heirateten sogar Prinzen oder Prinzessinnen oder andere Adlige. Aber noch einmal zu seinen Affären: Er hatte viele Mätressen, sehr viele. Natürlich hatte die jeweilige Dame seines Herzens viel Einfluss auf ihn, sie erhielt Vergünstigungen und stand in gewisser Weise über dem Gesetz. Eine dieser Geliebten war die Gräfin Louisa de Montcrasset. Es heißt, dass sie außerordentlich schön war und über den König eine ganz ungewöhnliche Macht besaß. Sie war die Tochter eines französischen Adligen, war jedoch nicht in Paris aufgewachsen. Man wusste nur, dass sie ihre Kindheit und Jugend in ›östlichen‹ Adelskreisen verbracht hatte. Eines Tages tauchte sie am Hof auf und wurde als Tochter ihres Vaters gebührend empfangen. In nur wenigen Wochen schlug sie alle Favoritinnen des Königs aus dem Feld und schaffte es, selbst bei sehr wichtigen Staatsangelegenheiten die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu ziehen.«
Tara lächelte. »Der Sonnenkönig regierte etwa um die Zeit, als Karl II. nach England zurückkehrte und den Thron bestieg. Der Monarch war bei seinem Volk recht beliebt. Cromwells puritanischem Regierungsstil und seiner allgemeinen Lustfeindlichkeit stand die Liebe des Königs zum Theater gegenüber – und seine Liebe zu den Frauen. Er besaß zwar den Anstand, sich nicht von seiner unfruchtbaren Frau zu trennen, hatte aber neben ihr eine Vielzahl von Geliebten. Allerdings hat er nicht alle seiner illegitimen Kinder anerkannt. Einer seiner Söhne, der nach seinem Tod Anspruch auf den Thron erhob, wurde von Karls Bruder Jakob, seinem Nachfolger, hingerichtet. Jakob selbst wurde schließlich von seiner Tochter und ihrem Gemahl, Wilhelm von Oranien, gestürzt.«
»Jetzt greifst du etwas vor«, meinte Jacques. »Jedenfalls hatten Ludwig und Karl viel gemeinsam, beide liebten die Künste, die Architektur, die Wissenschaft und die Frauen. Vor allem eine Frau, Louisa de Montcrasset.«
»Die junge Schönheit, die plötzlich aus dem Osten auftauchte, die Tochter des Adligen.« Tara lächelte, war jedoch plötzlich merkwürdig unruhig. Ihr Großvater und der Amerikaner, Brent Malone, schienen eine ausgesprochene Schwäche für die Toten und die Vergangenheit zu hegen.
»Damals bezweifelten einige, dass die Frau das war, was sie zu sein vorgab.«
»Aha, und diese Leute waren wahrscheinlich auch gegen ihre Beziehung zum König.«
»Ihr Vater hatte längere Zeit im Ausland gelebt. Er war ein Heerführer, der viel herumkam, und wenn er nicht gerade im Namen des Königs focht, betätigte er sich als Diplomat. Man hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Er muss recht stattlich gewesen sein, wenn man den Quellen trauen darf: dunkelhaarig, schlank, fein geschnittene Gesichtszüge.«
»Warum sollte dieser Mann keine schöne Tochter haben? Auch wenn die Genetik die seltsamsten Wege einschlagen kann. Ich zum Beispiel habe nicht die geringste Ähnlichkeit mit dir oder Ann.«
»Es ist überliefert, dass sie ein sehr exotisches Aussehen hatte. Und die Augen einer Katze.«
»Na ja, wahrscheinlich hatte sie ziemlich lose Moralvorstellungen und verstand es, ihre Reize so einzusetzen, dass sie bekam, was sie wollte. Wahrscheinlich war sie sogar ausgesprochen unmoralisch. Aber glaubst du denn nicht, dass viele sie schon deshalb hassten und versuchten, sie in ihren Schriften zu dämonisieren?«
»Von ihren Gegnern haben nicht sehr viele über sie geschrieben.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie starben.«
»Ach ja?«
»Im siebzehnten Jahrhundert hatte man große Angst vor der Hexerei. Es wurde gemunkelt, dass diese Frau zu einem Hexenzirkel gehörte und mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hatte. Es hieß sogar, sie verdanke ihre Schönheit dem Tod anderer.«
Tara beugte sich vor, verschränkte die Arme und stemmte sie auf den Tisch. Ihre Haltung wirkte sehr ernst. »Wir wissen doch beide, dass der Teufel nicht mit gespaltener Zunge und Schwanz daherkommt und auch mit niemandem einen Pakt schließt.«
»Ob der Teufel tatsächlich
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