Reich der Schatten
ihm zu wenden. Doch er hatte etwas an sich … Sie sah ihn wieder an.
»Ich liebe dich«, gestand er mit belegter Stimme. Seine Miene war so gequält, dass sie beinahe aufgesprungen wäre, um ihn zu trösten. Nur mit Mühe schaffte sie es, sitzen zu bleiben.
»Ich weiß nicht, was in mich gefahren war«, fuhr er fort. »Vielleicht hatte ich Angst vor den tiefen Gefühlen, die ich für dich empfinde. Vielleicht war ich verletzt, weil du zwar mit mir ausgegangen bist, mich aber nie zu dir nach Hause eingeladen hast. Du hast mich nie richtig an deinem Leben teilnehmen lassen, mich nie deinen Verwandten vorgestellt. Ich habe mich wahnsinnig angestrengt, es dir recht zu machen. Ja, ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Aber seit wir getrennt sind … Ann, ich möchte dich heiraten.«
Sie starrte ihn bestürzt an. Noch vor einer guten Woche hätten diese Worte sie in einen Freudentaumel versetzt, sie wäre überglücklich gewesen …
Doch jetzt …
Was für ein sonderbarer Tag. Erst der Amerikaner im Café und jetzt Willem.
»Ann?«
»Ich weiß nicht. Ich muss darüber nachdenken. Vielleicht sprechen wir später noch einmal darüber.« Sie blickte wieder auf ihren Schreibtisch. Die Worte auf den Papieren vor ihr begannen zu tanzen. Sie strengte sich an, nicht noch einmal hochzusehen.
»Wann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Heute Abend?«
»Nein. Ich möchte etwas mit meiner Cousine unternehmen.«
»Deine amerikanische Cousine? Die du mir noch nicht vorgestellt hast …«
Die Kränkung war nicht zu überhören. Ja, vielleicht war sie zu misstrauisch gewesen. Vielleicht hatte sie ihm tatsächlich unrecht getan …
Er hatte sie betrogen!
»Vielleicht reden wir in ein paar Tagen noch mal darüber.«
Es versetzte ihr einen kleinen Stich, als er ging. Sie hörte, wie er an den Schreibtisch ihrer Sekretärin trat und sich zwanglos mit ihr über die anstehenden Termine unterhielt.
Ann biss sich so stark auf die Lippen, dass es wehtat. Sie wollte aufstehen und ihm nachrennen. Doch nein – heute Abend würde sie mit Tara ausgehen. Vielleicht würde ja der attraktive Amerikaner auftauchen. Und vielleicht würde sie sich dann über ihre Gefühle klar werden. Vielleicht könnte sie sich sogar …
… an Willem rächen für das, was er ihr angetan hatte.
Dubois war aufgebracht.
Die Polizei konnte ausgesprochen lästig sein, vor allem dieser Kommissar Javet. Offenbar glaubte der Kerl, er bestünde nur aus Testosteron und habe das Recht, sich in Dinge einzumischen, von denen er keine Ahnung hatte.
Zum dritten Mal verhörte er Dubois. Diesmal war Javet sogar zu ihm nach Hause gekommen; zuvor hatte er ihn aufs Revier zitiert. Dort hatte man dem Professor ein paar Sonderermittler aus Paris vorgestellt und ihm erklärt, dass die Ausgrabungen eine Weile eingestellt werden müssten. Dubois war außer sich geraten.
Javet hatte ihm geduldig erklärt, dass jemand ermordet worden war.
Doch davon ließ sich Dubois nicht beeindrucken. »Ihr Idioten! Hier geht es um Geschichte! Hier geht es um einen wissenschaftlichen Fund, der weitaus bedeutender ist als der Verlust eines Menschen. Glauben Sie etwa, Howard Carter hat keinen Arbeiter verloren, als er Tutanchamuns Grab suchte? Sie können und dürfen mich in meiner Arbeit nicht behindern!«
Er hätte nicht so erregt reagieren sollen. Eilig fügte er hinzu, dass es ihm um Jean-Luc selbstverständlich leidtue. Aber zu spät – die Herren begannen ihn erneut zu verhören.
Natürlich hatte er ihnen klarzumachen versucht, dass sie den Falschen belästigten. Sie hätten sich lieber auf den Amerikaner, Brent Malone, konzentrieren sollen.
»Selbstverständlich wissen wir, wo sich der Mann aufhält. Aber ich glaube nicht, dass Ihr Arbeiter uns mehr sagen kann, als er uns schon gesagt hat.«
»Tja, wenn er den Mann ermordet hätte, würde er sicher nicht hereinspazieren und es Ihnen aufs Butterbrot schmieren!« Dubois ärgerte sich schon wieder über die Blödheit der Beamten.
Darauf wussten sie nicht viel zu sagen. Sie blieben jedoch freundlich, und schließlich ließen sie ihn wieder gehen.
Doch jetzt stand dieser Javet vor der Tür. Dubois bot ihm keinen Platz an und fragte ihn auch nicht, ob er etwas trinken wolle. Er ließ ihn kaum über die Schwelle. Aber auch diesmal ließ sich Javet weder von der Unhöflichkeit noch der offenkundig mangelnden Bereitschaft des Professors zur Mithilfe erschüttern.
»Professor Dubois, ich glaube, Sie könnten uns eine große Hilfe sein, wenn
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