Reich durch Hartz IV
springt. Schon vorher wurden Arbeitslose zu Lkw-Fahrern umgeschult, aber seitdem die Bundeswehr als Ausbilder gänzlich weggebrochen ist, ist das Jobcenter noch stärker gefragt. Und Spediteur Heisterkamp weiß auch gleich, wer am besten ausbilden könne, nämlich die DEKRA. Der Spediteur und die DEKRA bieten sich gemeinsam dem Jobcenter als neuer Partner an – eine lukrative Allianz. Die einen stellen ein – vielleicht. Die anderen bilden zuverlässig aus – gegen Bares vom Amt.
Wie der TÜV Nord hat auch die DEKRA mal ganz anders angefangen: mit Führerscheinprüfungen-, Produkt-, und Maschinenzertifizierung sowie der Überprüfung von Gerätesicherheit. Und ebenso wie der TÜV-Nord hat auch die DEKRA die Zeichen der Zeit erkannt und mittlerweile eine Bildungsakademie gegründet. Seitdem bietet sie vollmundig an, Arbeitsuchende zu Berufskraftfahrern umzuschulen und schwärmt: »Teilnehmern eröffnen sich so neue Perspektiven im Speditions- und Transportgewerbe oder im Werksverkehr.«
Ein junger Mann arbeitet gerade an seiner neuen Perspektive, kurbelt am Lenkrad eines Riesenlasters und fährt vorsichtig über den Hof der DEKRA-Akademie in Lübeck. Er hat soeben die Lkw-Führerscheinprüfung bestanden und soll seinem neuen Chef von der Spedition Heisterkamp mal zeigen, was er kann. Die Firma ist kein kleiner Krauter, sondern ein großes Unternehmen, das stolz in einer Werbebroschüre erklärt: »In den vergangenen 30 Jahren hat Heisterkamp ein besonderes Wachstum durchlebt. Ein Fuhrpark von einem Lastwagen ist zu einem Fuhrpark von 1000 Lastwagen und einem Personalbestand von ungefähr 1600 Angestellten angewachsen. In den letzten Jahren wurde auch das Angebotspaket von Heisterkamp gewaltig ausgebreitet. Wir wollen jedes Jahr Besseres leisten als im Jahr davor. Heisterkamp – der europäische Marktführer auf dem Gebiet des Trailertruckings. Wir wollen mit den Kunden wachsen, um Sie weiterhin bedienen zu können, auf dem Niveau, das Sie von Heisterkamp gewohnt sind.«
Jedes Jahr Besseres zu leisten und mit den Kunden zu wachsen – nicht schwer, wenn man das Jobcenter zuverlässig an seiner Seite hat. Ein Lkw-Führerschein kostet 10 000 Euro, doch diese Summe schlägt bei Heisterkamp nicht zu Buche, denn das Jobcenter finanziert die Fahrerausbildung und serviert der Speditionsbranche die frisch Ausgebildeten frei Haus. Der Geschäftsführer betont noch einmal: »Wir suchen Lkw-Fahrer.«
»Warum bilden Sie denn nicht aus?«
»Wir bilden nicht aus, weil wir mit der DEKRA zusammenarbeiten und wir einfach sagen: Das ist ein Job, den die DEKRA gut macht – und das seit Jahren.«
»Seit Jahren? Also Sie kriegen seit Jahren auf diese Weise gut ausgebildete Lkw-Fahrer?«
»Ja, deswegen bilden wir auch nicht selber aus. Das wäre für uns viel zu weitgreifend. Wir müssten viel mehr Personal einstellen.«
»Beteiligen Sie sich denn wenigstens an den Kosten für die Ausbildung?«
»Das steht im Augenblick nicht zur Debatte.«
Auch das steht nicht zur Debatte: Kein Vertreter des Jobcenters steht heute hier auf der Matte und fordert das Speditionsunternehmen auf, den jungen Mann, der aus der Fahrerkabine krabbelt und seine Fahrprüfung bestanden hat, nun auch fest einzustellen und nach Tarif zu entlohnen. Im Gegenteil: der Mann wird weiter Hartz IV vom Jobcenter beziehen. Der Vertreter des Speditionsunternehmens ist zwar zufrieden mit dem, was er eben auf dem Hof gesehen hat. Der junge Mann beherrscht den Lkw. Einen Einstellungsvertrag bekommt er aber trotzdem nicht, obwohl der Vertreter der Firma vorher eingeräumt hatte, dass sie händeringend Lkw-Fahrer suchten. Jetzt folgt nämlich erst mal ein Praktikum – eine unschlagbare Finanzierungsstrategie, denn der Mann muss zwar während seines »Praktikums« malochen wie jeder andere im Speditionsunternehmen auch, aber er bekommt dafür keinen Lohn, noch nicht einmal eine kleine Praktikumsvergütung. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er weiterhin mithilfe des Steuerzahlers. Er bleibt nämlich im Hartz-IV-Bezug! Der Spediteur findet das völlig normal: »Er wird jetzt noch ein Praktikum bei uns machen und innerhalb des Praktikums werden wir feststellen, was er kann.«
»Und ist das ein bezahltes Praktikum oder wird er während der Zeit vom Jobcenter finanziert?«
»Während der Praktikumszeit wird er noch vom Jobcenter finanziert.«
60 Fahrer – bundesweit sind es weitaus mehr – werden allein hier in Lübeck im Jahr geschult. Das macht 600 000 Euro, die die
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