Reid 2 Die ungehorsame Braut
sich nicht die Zeit genommen, in eines ihrer Reitgewänder zu schlüpfen, sondern hatte sich das erstbeste Kleid geschnappt, in dem sie für gewöhnlich nie das Haus verließ, weil es zu dünn war. Der Schal, den sie geistesgegenwärtig mitgenommen hatte, entpuppte sich als Enttäuschung, bedeckte er doch nicht einmal ihren Ausschnitt in seiner Gänze. Da ihr Mantel nicht an seinem angestammten Platz gehangen hatte, hatte sie sich blitzschnell für einen Umhang entschieden. Das lose Haar hatte sie aus Ermangelung an Zeit einfach unter eine Fellmütze gestopft.
Immerhin hielt das Cape ein wenig Kälte ab, während sie über ihr unbedachtes Verhalten nachdachte. Sie täte besser daran, auf der Stelle umzukehren. Wenn jemand sah, wie sie angezogen war, würde er oder sie schnell zu der Überzeugung kommen, sie hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Auf der an deren Seite war es heute recht mild und windstill. Daran gemessen, dass es Winter war, war das Wetter fast schön zu nennen. Ein perfekter Tag für einen Ausflug im Sattel. Schade, dass sie nicht entsprechend gekleidet war.
Ophelia meinte, Mark in der Ferne auszumachen. Sie entschied, ihm den Rest des Weges zu ersparen, da sie ohnehin wieder nach Hause reiten würden. Gerade als sie das Pferd wendete, näherte sich ihr jemand von hinten.
»Lust auf einen kleinen Ausritt in den Park?«
Wo, zum Teufel, kommt er denn jetzt auf einmal her ?, schoss es ihr durch den Kopf, ehe sie mit »Ja« antwortete und die Stute abermals wendete.
Rafe sah sie voller Neugierde an, vermutlich, weil eine ihrer unbedeckten Hände den Umhang zuhielt. Doch das genügte nicht, um die Seide und die Rüschen daran zu hindern, unter dem Wollstoff hervorzulugen.
Raphael kommentierte ihre Aufmachung nicht, sondern sagte lediglich: »Irgendwie habe ich mir dich nie auf einem Pferd vorstellen können, Phelia. Du überraschst mich immer wieder.«
»Warum? Ich reite sogar sehr gern, falls es dich interessiert.«
»Ja, aber...« Raphael hielt inne und lachte leise. »Das liegt vermutlich an dem makellosen Bild von dir, das ich noch immer in mir trage. Du weißt schon, mit einer Frisur, bei der jedes Haar dort ist, wo es hingehört. Keine Falte im Kleid und vor allem kein Pferdegeruch, der an dir haftet.«
Sie teilte seine Belustigung, indem sie ebenfalls schmunzelte. »Das solltest du so schnell wie möglich wieder ablegen. Vergiss nicht, wir haben uns schon im Schnee gewälzt, ganz zu schweigen von dem anderen. Meine Frisur war völlig ruiniert, nachdem wir...«
Ophelia beendete ihre Ausführungen mit einem leisen Seufzen, woraufhin ein hungriges Leuchten in Raphaels Augen trat. Es war unschicklich und gedankenlos von ihr, ihn an die Geschehnisse im Salon zu erinnern, zumal sie es jetzt geschafft hatte, das Bild von seinem zerzausten Haar und dem leidenschaftlichen Ausdruck in seinen Augen nach dem sinnlichen Liebesspiel heraufzubeschwören.
Bei Gott, dies war der letzte Ort, an dem sie Gefühle der Leidenschaft schüren sollte. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, ein wenig auszureiten.
»Lust auf ein Rennen?«, platzte es aus ihr heraus, gerade als Mark zu ihnen stieß.
Der Bedienstete hatte ihre Worte vernommen und wollte gerade Einspruch erheben, als sie im Galopp in den Park ritt. Sie hatte nicht nur Mark, sondern auch Rafe auf dem falschen Fuß erwischt, der in Gedanken noch immer im Salon von Alder’s Nest weilte. Mit einem schnellen Blick über die Schulter erkannte sie, dass es einen Augenblick gedauert hatte, bis er sich in Bewegung gesetzt hatte, und sie freute sich diebisch über den beträchtlichen Vorsprung. Durch ihren Blitzstart hatte sie zwar ihre Fellmütze eingebüßt, dachte aber nicht im Traum daran umzukehren. So etwas gehörte sich nicht bei einem Rennen, und außerdem wollte sie ja gewinnen.
Wie ein aufgeregter Vogel flatterte der Umhang um sie herum. Vor lauter Aufregung, dass sie ein Rennen ins Leben gerufen hatte, nahm sie die kalte Luft, die sie umwirbelte, kaum wahr. Ein Ende des Schals hatte sich gelöst und dem Diktat des Windes unterworfen. Um ihn nicht auch noch zu verlieren, hielt sie ihn fest. Ihr Umhang, der Schal und ihr Haar, alles wirbelte wild um sie herum. Doch es war ihr einerlei. Sie gab ihrer Stute die Sporen, um sie zu einem noch schnelleren Galopp anzutreiben.
Ophelia hatte sich für den nördlichen Pfad entschieden, da der Park aber fast menschenleer war, galoppierte sie über die Wegkreuzung mit der sogenannten Serpentine
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