Reid 2 Die ungehorsame Braut
wollte.«
»Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?«
Ophelia durchmaß den Raum, stellte sich vor den Schreibtisch, stützte sich mit den Händen ab und funkelte ihn an. »Nein, ich habe vielmehr das Gefühl, ihn endlich einzusetzen. Möchtest du wahrhaftig wissen, warum ich ihn nicht in die engere Wahl ziehe? Ja, er ist attraktiv, betucht und trägt einen Titel. Er bringt alles mit, was sich eine Frau wünschen kann. Aber es gibt da eine Winzigkeit, weshalb er für mich nicht infrage kommt.«
»Und die wäre?«
»Dass du dir nichts sehnlicher wünschst, als dass er dein Schwiegersohn wird. Nachdem du mich mehr oder weniger den Wölfen in Yorkshire zum Fraß vorgeworfen hast, bin ich nicht länger geneigt, dich mit meiner Hochzeit glücklich zu machen. Überrascht dich das?«
Er erhob sich und funkelte sie nicht minder düster an. »Dass du eine halsstarrige und rachsüchtige Tochter bist? Nein, das überrascht mich nicht im Geringsten. Eines lass dir gesagt sein, du wirst ihn heiraten. Es ist mir einerlei, wie du ihn dazu bringst, mit dir vor den Altar zu treten, Hauptsache, er tut es. Oder ich werde Letzteres selbst in die Hand nehmen.«
Es hatte keinen Sinn, ihm vor Augen zu führen, dass es hier um ihr Leben und nicht um das seine ging. Das wusste sie aus Erfahrung. Wutschnaubend stapfte sie aus dem Arbeitszimmer. Da sie viel zu aufgewühlt war, um sich wieder unter die Gäste zu mischen, fand sie sich stattdessen im Esszimmer wieder.
Rafe war noch immer hier, er hatte sich gerade erhoben, um seinen leeren Teller wegzubringen. Die anderen beiden hatten den Raum bereits verlassen. Ophelia war sich nicht sicher, ob ihre Anwesenheit sie daran gehindert hätte zu tun, was sie nun tat, zumal sie handelte, ohne nachzudenken. Sie lief schnurstracks auf Rafe zu und gab ihm einen Kuss, der es in sich hatte.
Er hatte seine Überraschung gut im Griff. Genauer gesagt erwiderte er fast sofort ihren Kuss und ließ den Teller auf den Tisch fallen, damit er die Hände frei hatte und sie an sich ziehen konnte. Mehr bedurfte es nicht, und ihre Wut schmolz förmlich dahin. An ihre Stelle rückte augenblicklich Leidenschaft. Flammende Leidenschaft, die intensiver wurde, als er an ihrer Zunge sog, die sie ihm mutig in den Mund geschoben hatte. Als seine Hand ihre Pobacke umfing und sie gegen sein geschwollenes Gemacht drückte, brannte sie lichterloh.
Es war unglaublich, welche Gefühle dieses Mannsbild in ihr wachrief. Wut, Leidenschaft, Zärtlichkeit, Freude. Und natürlich Aufregung. Er war Segen und Fluch zugleich. Wie hatte sie nur zulassen können, dass er einen so wichtigen Teil in ihrem Leben spielte? Hatte sie sich womöglich in ihn verliebt, ohne dass es ihr bewusst war?
Er küsste sie begierig, streichelte ihr den Rücken, sodass sie sich einige Augenblicke lang in den wohligen Schauern verlor, die sie ergriffen - bis ihr bewusst wurde, dass sie keinen schlechteren Ort zum Austausch von Zärtlichkeiten hatte wählen können. Die Flügeltüren standen sperrangelweit offen. Dutzende von Menschen liefen den Flur entlang. Gott weiß wer könnte sie sehen.
Von jetzt auf gleich riss Ophelia sich los. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Wangen standen in Flammen, und ihre Lippen fühlten sich geschwollen an, vermutlich waren sie es auch. Sie hatte Angst, man könnte ihr ansehen, dass sie gerade voller Leidenschaft geküsst worden war. Bei Raphael war es nicht anders. Sie hatte ihm das Haar zerzaust. Flink versuchte sie, es wieder zu richten. Was den leidenschaftlichen Ausdruck in seinen Augen betraf, dagegen konnte sie nichts unternehmen.
Er tat einen tiefen, unsteten Atemzug, ehe er das Wort ergriff: »Das kam ziemlich überraschend.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Ophelia die Stimme wiederfand. »Das habe ich von dir gelernt«, sagte sie und meinte damit den Kuss, den er ihr seinerzeit in der Kutsche geraubt hatte. Um ihn wissen zu lassen, dass sie ihn aufzog, schob sie ein verschmitztes Grinsen hinterher.
»Kann es sein, dass du dich mit deinem Vater gestritten hast?«
»Woher weißt du das?«, antwortete sie trocken.
Zärtlich fuhr er mit dem Finger über ihre Wange. »Wie wäre es, wenn du dafür sorgst, dass heute Nacht der Seiteneingang unverschlossen bleibt?«
Die Vorfreude auf das, was er andeutete, lähmte sie fast. »Mal sehen, vielleicht«, hauchte sie.
Während sie nach oben hastete, um sich frisch zu machen, wusste sie bereits, dass sie seinem Wunsch nachkommen würde.
Kapitel
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