Reif für die Insel
er angezettelt hatte. So ein Mistkerl!«
»Sie hat ihn nicht verraten? Sie hat seinen Namen nicht genannt? Alle Achtung!«
»Die Zuschauer hielten es für einen Werbetrick, den sich der Autor und die Verlegerin gemeinsam ausgedacht haben.«
»Vielleicht haben sie recht?«
|124| Ich schüttelte den Kopf, obwohl Elena es nicht sehen konnte. »Das glaube ich nicht. Tonia war derart unglücklich und verzweifelt – das war echt. Und erst der Buchhändler! Um den musste man sich richtig Sorgen machen. Er sah aus, als überlegte er sich, in der folgenden Nacht wie Sielmanns Patentante ins Watt zu gehen.«
»Und Uschi?«
»Tja, Uschi …«
Sie redete auf Raffael Sielmann ein, wehrte Johnny Gefron mit ungeduldigen Gesten ab und empfing Tonia, als sie von der Bühne herunterkam, mit einem Wortschwall, den die Verlegerin sich wortlos anhörte. Es war, als richtete Uschi immer wieder dieselbe Forderung an Tonia. Aber jedes Mal schüttelte Tonia nur den Kopf.
»Könnte es sein, dass Uschi für den Gefron-Verlag arbeitet?«
Ich konnte nicht erklären, warum, aber ich glaubte es nicht. »Uschis Wort scheint jedoch Gewicht zu haben. Schade, dass ich sie später nicht mehr gesehen habe. Ich hätte sie gerne so vieles gefragt.«
»Ob sie noch Kontakt zu Paul hat?«, fragte Elena. »Und ob sie weiß, was aus Rolf und Bärbel geworden ist?«
Ja, auch das hätte ich sie gerne gefragt. Aber vor allem hätte ich gerne erfahren, was aus Uschi selbst geworden war.
Die Zeitungen sind voll von dem Skandal im Alten Kursaal. Der Name David Davidson steht auf allen Titelseiten. »Wird der Autor ohne Gesicht nun zu einem Autor ohne Gewissen?«
|125| Paul setzt sich auf, um besser lesen zu können. Die Presse lässt kein gutes Haar an David Davidson. Vom Betrug am Leser ist da die Rede, von der skrupellosen Verlegerin, die gemeinsame Sache mit ihrem erfolgreichsten Autor macht, die das Publikum mit der Erstattung der Eintrittspreise abspeist, um anschließend noch fettere Gewinne mit den Davidson-Büchern einzustreichen.
Paul erhebt sich, um die Hitze abzuschütteln, hält seinen Körper dem Meer hin, doch von dort kommt auch im Sommer nur ein mildes Lüftchen. Aber immerhin! Und das Wasser, das immer kalt ist, sorgt schon für Abkühlung, wenn man es nur lange genug ansieht. Die Wellen haben jedoch keine Kraft, die Brandung ist lustlos, es gibt keine Schaumkronen und kein Spiel der Farben. Das Meer ist blau und langweilig. Aber es ist kalt. Und deswegen entschließt sich Paul, die Zeitung wegzulegen und sich zur Wasserkante aufzumachen. Wenn er auch fürchten muss, sich die Füße zu verbrennen.
Auf den letzten Metern wird er immer schneller und ist dankbar, als er endlich den kühlen, feuchten Sand unter seinen Fußsohlen spürt. Er macht einen Schritt ins Wasser hinein, gräbt seine Zehen in den Schlick und genießt die Kälte, die ganz langsam von seinen Füßen aufsteigt. Er schließt die Augen, atmet die Erfrischung durch seinen ganzen Körper, lässt seine Füße mit den kleinen Wellen spielen. Neben ihm, vier oder fünf Meter weiter, steht eine Frau, die es so macht wie er. Auch sie hebt mal das rechte Bein, mal das linke, bewegt die Zehen, läst das Wasser abtropfen, geht einen Schritt weiter ins Meer hinein, bückt |126| sich, lässt die Fingerspitzen im Wasser spielen, bespritzt ihre Schenkel, ihren Bauch, die Brüste. Die Haare fallen ihr ins Gesicht, schulterlange, dunkelbraune Haare. Als sie sich aufrichtet, greift sie mit beiden Händen hinein und führt sie am Hinterkopf zusammen, als wollte sie ihre Haare dort feststecken.
Vielleicht hätte sie ihn nicht bemerkt, wenn Paul nicht bewegungslos dagestanden und sie angestarrt hätte. Wäre er einfach ins Wasser gelaufen oder hätte er sich umgedreht, um wieder zurückzugehen, dann wäre sie vermutlich nicht auf ihn aufmerksam geworden. Nun aber dreht sie sich zu ihm hin, weil sie seinen Blick spürt, die Hände noch am Hinterkopf, und sieht ihn an. Dass sie ihn erkennt, wird ihm klar, als sie die Hände sinken lässt, als wüsste sie nicht mehr, warum sie sie angehoben hat. Ihre Haare fallen auf die Schultern zurück, ihre Brüste, die sich mit den Armen gehoben haben, sinken ebenfalls wieder herab.
Weil Paul nicht will, dass sie seinen Namen eher ausspricht als er ihren, sagt er: »Sophia!«
Und sie antwortet, ohne zu zögern: »Paul!«
8.
Aus der Hitze ist Schwüle geworden, die Luft hat an Gewicht zugenommen, sie lastet auf der Insel. Der Himmel ist
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