Reif für die Insel
attraktiv und in unserem Alter ist. Und dann der Buchhändler! Er hat mir erklärt, Sielmanns Romane gefallen ihm nicht, weil er Davidson imitiert.«
Elenas Stimme klang atemlos. »Du meinst … er imitiert ihn gar nicht?«
»Nein, er ist David Davidson. Seine Zukunftsromane grenzen sich zwar von der wirklich guten Literatur ab, die er unter Pseudonym schreibt, aber sein Sprachschatz ist eben doch der gleiche.«
»Warum diese Geheimniskrämerei?«
|118| »Weil er dadurch das Interesse auf sich zieht! Geheimnisse verkaufen sich immer besonders gut. Wie oft haben sich die Leser in den letzten Jahren gefragt, wer hinter dem Namen David Davidson stecken mag! Von ihm wäre nur halb so viel geredet worden, wenn jeder seinen wirklichen Namen gekannt hätte.«
»Und seine Bücher wären dann vielleicht nicht in die Bestsellerlisten gekommen.«
»Jedenfalls nicht so schnell und so leicht. Wer Davidson gern liest, hat sich bei jedem neuen Buch gefragt, ob er sich diesmal verrät.«
»Wahnsinn!« So beeindruckt war Elena das letzte Mal gewesen, als ich ihr erzählte, dass ich zehn Kilo abgenommen hatte.
»Spätestens während des Gesprächs mit dem Buchhändler hätte ich drauf kommen können.«
Ich erinnere mich genau, was der Buchhändler sagte. Er kannte Raffael Sielmann aus der Zeit, in der er als Jugendlicher seine Patentante auf Sylt besuchte. Und noch etwas fiel mir ein, während ich mit Elena sprach: »Der Buchhändler hat mir verraten, dass er David Davidson zu einem Vorgespräch erwartete. Aber er hat mir gleich die Hoffnung genommen, vor der Eingangstür auf ihn zu warten. Davidson würde einen anderen Weg nehmen.« Meine Stimme war ein einziger Triumph. »Den Hintereingang!«
Nun klang Elenas Stimme, als hätte sie einen Marathon hinter sich. »Dann ist er also gar nicht deinetwegen nach Westerland gekommen! Du hast gesagt, er wäre dir gefolgt. Aber das stimmt gar nicht!«
|119| Plötzlich passte alles zusammen. Nun wusste ich, warum David Davidson ausgerechnet auf Sylt und ausgerechnet mit Unterstützung der kleinen Badebuchhandlung die wichtigste Lesung seiner Karriere abhalten wollte. Weil ihn mit dem Buchhändler eine alte Freundschaft verband!
»Aber warum überhaupt seine Idee, das Inkognito zu lüften?«, fragte Elena.
Darüber hatte ich schon nachgedacht. »Ein PR-Gag! Davidson steht heute auf allen Titelseiten.«
»Und warum hat er die Lesung dann platzen lassen? Ein weiterer PR-Gag?«
Diese Frage war im Zuschauerraum und später im Foyer ausgiebig erörtert worden. Eine halbe Stunde nach dem eigentlichen Vorstellungsbeginn wurde das Gemurre immer lauter. Einige begannen sogar zu skandieren: »Da-vid-son! Da-vid-son!«
Andere lächelten darüber, aber bald schon übertönten grelle Pfiffe das Gelächter. Und schließlich kamen lautstarke Buh-Rufe dazu.
Ich konnte von meinem Platz aus gut erkennen, wie Tonia Gefron sich ereiferte. Ihre Haarsträhne hatte eine Menge auszuhalten, während sie auf Raffael Sielmann einredete, ihren Mann mit wütenden Handbewegungen zum Schweigen brachte und mit Uschi eine hitzige Debatte führte.
»Was hat Uschi damit zu tun?«
»Wenn ich das wüsste, Elena.«
Wir kamen leider über eine kurze Begrüßung nicht hinaus. So viele Gefühle mussten nach vierzig Jahren in Worte |120| gefasst werden, dass eins kaum von anderen abzugrenzen war. Überraschung — »Bist du es wirklich?« —, dann exaltierte Freude — »Nicht zu glauben, nach vierzig Jahren!« und schließlich schrille Begeisterung — »Wir müssen unbedingt nach der Vorstellung quatschen!« Aber in diesem Augenblick trat Raffael Sielmann zu uns mit der langatmigen Feststellung, dass es wunderschön sei, wenn zwei alte Freundinnen sich nach so vielen Jahren wiederfänden.
Nun, vom Wiederfinden kann keine Rede sein, denn plötzlich drängte er Uschi so energisch zur Bühne, dass wir nicht einmal dazu kamen, einen Treffpunkt zu vereinbaren. »Tonia und Johnny freuen sich, dass du gekommen bist, Uschi. Sie wollen unbedingt mit dir reden.«
Als ich mich wieder auf meinen Platz setzte, wusste ich nicht einmal, aus welchem Grunde Uschi der Lesung Davidsons beiwohnen wollte. Aber ich wusste genau, dass ihre Freude und ihre Begeisterung nicht echt gewesen waren, nur ihre Überraschung. Uschi würde nach der Vorstellung nicht zu mir kommen, um mit mir in Erinnerungen zu kramen, da war ich mir plötzlich ganz sicher. Sie hatte trotz ihrer höflichen Worte nicht verhehlen können, dass ihre Überraschung
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