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Reifezeit

Reifezeit

Titel: Reifezeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Fontanel
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wiedergeben. Sag, und deine Mama ist schon wieder gestürzt? Arme, arme Mama, ich weiß, wie dir zumute ist. Meine Güte, ja, ich weiß, dass du dadurch selbst zu dem alten Menschen wirst. In jenen Momenten ist es, als sei jeder winzige Rückenwirbel der betagten Person, der vorsteht, dein ­eigener, es fühlt sich an wie Seepferdchenstacheln, und sie hat solche Schmerzen, wenn man vergisst, ihr ein Kissen ­unterzustopfen. Es ist gleichsam deine eigene Niederlage, deine eigene Schwerfälligkeit, und du bist es auch, der diese Last des alten Menschen trägt, und ich weiß, dass selbst die leichteste Bürde nicht zu schultern ist, denn dieses Lebensende ist dein eigenes, die Zartheit ihrer Hände, die hauchdünne Haut, die sie haben, hast du das bemerkt? Ich weiß, in welche Isolation einen das treibt. Die grotesken Aktivitäten der Außenwelt. Wie man sich aus diesem Desaster befreit, kann ich dir allerdings nicht sagen. Bei mir ist es geschehen, ohne dass ich mir dessen überhaupt bewusst war. Eines Morgens war ich plötzlich wieder von einem Gefühl der ­Jugendlichkeit erfüllt. Das ist auch der Grund, weshalb ich diese auf so alberne Weise mit allen Mitteln der Kunst aufrechtzuhalten suche. Was du da erlebst, habe ich selbst schon erlebt.«

W as ich im Krankenhaus aus den Begegnungen mit den Pflegehelferinnen gelernt habe: Nichts verdient mehr Respekt als eine Frauenzeitschrift. »Sie machen einen wichtigen Job«, erklärten sie mir eines Tages, nachdem sie erfahren hatten, für welches Blatt ich schreibe – sie standen im Gang um mich versammelt und musterten mich mit ­einer so zärtlichen Hochachtung, dass es schon peinlich war. Ich dachte, sie würden dies aus reiner Nettigkeit sagen. Ich schaute nicht so ganz in sie hinein, aber dass sie nett waren, ja, das ahnte ich wohl. Und doch führten sie mir alsbald meinen Irrtum vor Augen und machten mir deutlich, worauf sie hinauswollten. Die Eitelkeit ist ein Rettungsanker für Frauen aller Altersstufen, so lautete ihre Botschaft. Sie freuten sich wie die Schneekönige bei der Vorstellung, mir diese an einem Beispiel zu demonstrieren und deuteten doch zum Beweis tatsächlich schräg über den Flur hinunter auf meine Mutter. Sie, die für gewöhnlich im Bett lag, saß in einem Sessel und betrachtete sich in einem kleinen Spiegel. Sie kam ganz ­offenkundig gerade vom Friseur.
    Es war wohl so gewesen, dass meine Mutter, diese Frau, die eigentlich am Ende ihrer Kräfte war, sich an jenem Morgen ungewohnt schwungvoll auf einen Ellbogen gestützt und im Bett aufgerichtet hatte. Sie hatte sich erkundigt, ob es im Haus einen Friseur gebe. Nachdem man ihr mitgeteilt hatte, dass dem so sei, hatte sie vor Wohlbehagen geseufzt. Der jungen Polin, die sich erbot, ihr die Fußnägel zu feilen, hatte sie fröhlich ein Bein entgegengestreckt, und zwar erstaunlicherweise das operierte, das, das ihr solche Schwierigkeiten beim Gehen bereitete.
    Was diesen plötzlichen Energieschub bei ihr ausgelöst hatte? Das Modemagazin, für das ich arbeitete. Ich hatte es am Vortag dagelassen, und als man sie wecken kam, hatte man sie darein vertieft vorgefunden.
    Ich trat in ihr Zimmer. »Meine Tochter!«, rief sie aus, das Haar raffiniert gestuft. Während sie auf mich wartete, hatte sie eine Liste mit allem, was sie brauchte, erstellt, Dinge, die sie absolut dringend benötigte und ohne die sie nicht leben könnte. Als ich die Schrift meiner Mutter sah, einst so sicher, nun zittrig und gezackt wie ein Kreppband, wagte ich gar nicht daran zu denken, wie viel Zeit es sie gekostet haben mochte, diese Liste zu verfassen, auf der zu lesen stand:

    • Geißblattseife von Roger Gallet
    • Softlockenwickler (4), mittelgroß (gelb, wenn es sie gibt)
    • Terrakottapuder von Guerlain
    • Großer Rougepinsel
    • Aprikosen-Nagelcreme von Dior
    • Nagellack in Perlmutt (Gemey)
    • Zwei lang geschnittene Tuniken (pastellfarben). Ohne übertriebenen Firlefanz. Lang.
    • Meine Uhr
    • Vergrößerungsspiegel
    • Pinzette
    • Bleichcreme von Veet (Oberlippenbehaarung)
    • Bei Missoni vorbeischauen. Leichtes Kleid von Missoni, in hellen Farben.
    • Foulard von Missoni (Schublade zu Hause)
    • Ecrufarbene Kaschmirjacke
    • Ecrufarbene Kaschmirsocken
    • Kaschmirschal
    • Tagesdecke mit Indienblumen
    • Lippenstift zinnoberrot. Dior.
    • Deine Gegenwart
    • ZEITSCHRIFTEN MITBRINGEN

A nfangs fuhr ich sie trotz der Stürze noch nach Südfrankreich hinunter. Am Ende der Ferien brachte mein

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