Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Leopold Lipschütz, sowie der Zeitungsherausgeber, dass er an der Geschichte dranblieb. Trotzdem grauste ihm vor dem Gedanken, hinunter in die übel riechenden Kanäle steigen zu müssen …
     
    Und es kam schlimmer als erwartet. Zuerst der schwarze Regen aus Dreck und Ruß. Dann das Kriechen durch die Röhre in die ›Küche‹ samt Rückweg. Und jetzt das Herumstehen mit nassen Schuhen in der großen Schleusenhalle. Er hatte im wahrsten Sinn des Wortes die Nase voll. Als er zudem die brutale Behandlung des ausgezehrten, obdachlosen Buben mitverfolgte, wurde ihm speiübel. Am liebsten wäre er zum Pospischil hinübergegangen und hätte ihm in den Kragen gebrochen. Zum Glück machte der alte Griasler dem unwürdigen Schauspiel ein Ende. Goldblatt trat der Schweiß auf die Stirne, als er sich in die Kolonne der zur Zwingburg strebenden Menschen einreihte und dabei mit seinem Magen kämpfte. Es gelang ihm, den Brechreiz zu besiegen, mit kaltem Schweiß auf der Stirne und gespannter Neugier stapfte er durch knöchelhohes Wasser.
    Plötzlich blieb der vorangehende alte Mann stehen und wandte sich an den Inspector. »Herr Oberpolizeirat, dürft ich bittschön einen Vorschlag machen?«
    »Sag er schon, was er will …«
    »Da wär ein Ausstieg ums Eck, bei dem Sie unsere Leute nach oben bringen könnten. Weil zur Zwingburg hin wird’s ziemlich eng. Da können wir net alle durch. Außerdem bräuchten wir einen breiten Laden 21 , damit wir über den Graben zur Zwingburg umekommen 22 .«
    Nechyba dachte kurz nach. Dann erteilte er dem Oberkommissär den Befehl, alle Verhafteten an die Oberfläche zu bringen und gleichzeitig ein dickes Brett – am besten von einer Baustelle – zu beschaffen.
    »Wir bringen’s nachher natürlich wieder zurück … damit es nicht heißt, die Sicherheitswache plündert Baumaterial«, knurrte der Inspector.
    Die lange Schlange von Verhafteten zog ab. Goldblatt erinnerte sich, dass er irgendwo in einer Innentasche seines Mantels – oder seines Sakkos – eine angebrochene Packung Zigaretten hatte. Er fingerte nervös durch alle Taschen, fand die Packung schließlich und bot den Umstehenden Zigaretten an. Als Erstem übrigens dem alten Griasler, der mit einem »Vergelt’s Gott, Herr Inspector« die Zigarette annahm.
    Nechyba lachte dröhnend und widersprach: »Das ist kein Inspector. Das ist ein Redakteur. Und zwar der, der die Kannibalismusgeschichte erfunden hat.«
    Die Augen der Anwesenden musterten Goldblatt kritisch. Fast hätte er sich für diese Geschichte geniert. Da aber Angriff die beste Verteidigung ist, antwortete er: »Erstens erfinde ich keine Geschichten. Ich schreibe über die Ergebnisse meiner Recherchen. Und zweitens: Wenn es mich nicht geben täte, hätte die Polizei nie etwas von der zerstückelten Leiche erfahren. Da sieht man, dass ohne uns Journalisten so manches unter den Tisch gekehrt würde …«
    »Ist das jetzt der Dank dafür, dass ich Sie als einzigen Journalisten Wiens zu dieser Razzia mitgenommen hab, Goldblatt?«
    »Was heißt Dank. Sie, mein lieber Nechyba, sind mir Dank schuldig. Dass ich das alles aufgedeckt hab!«
    »Meine Herren, streiten S’ doch nicht«, beschwichtigte der Oberbaurat Pichler. »Ich glaub außerdem Schritte zu hören. Wahrscheinlich kommen s’ jetzt mit dem Brett’l daher …«
    Und er hatte recht, der Oberbaurat. Zwei Sicherheitswachebeamte schleppten keuchend ein dickes Brett, über das selbst ein Koloss wie Nechyba ohne Probleme gehen konnte. Die Gruppe setzte sich nun in Richtung Schwarzenbergplatz in Bewegung. Um dorthin zu gelangen, mussten sie den reißenden, aber zum Glück nicht allzu tiefen Wienfluss überqueren. Auf Anraten des Oberbaurats Pichler zogen sie sich die Schuhe und Socken aus. Goldblatt hasste es!
    »Denn bloßfüßig hat man mehr Halt auf dem rutschigen Flussbett …«
    Die Männer bildeten eine Schlange und hielten sich aneinander fest, was sich als sehr zweckdienlich herausstellte. Nicht nur Goldblatt, sondern auch Nechyba und die anderen rutschten in dem reißenden Flussbett immer wieder aus, wurden aber von ihren Nachbarn aufgefangen. Als sie das andere Ufer erreicht, die Hosenbeine wieder hinuntergekrempelt und Socken sowie Schuhe angezogen hatten, mussten sie ungefähr hundert Meter durch eine schlauchartige Röhre kriechen. Ein klaustrophobischer Albtraum! Goldblatt glaubte mehrmals – obwohl er so dünn war – steckenzubleiben. Schließlich erreichten sie einen anderthalb Meter hohen Gang, der vor

Weitere Kostenlose Bücher