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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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net schlagen. I weiß nix. Gar nix …«
    Eine ähnliche Ahnungslosigkeit herrschte bei den restlichen Anwesenden. Nechyba hatte das Gefühl, Zeit zu vergeuden. Er wollte so schnell wie möglich aus dieser Unterwelt hinaus. Raus an die frische Nachtluft. Deshalb gab er seiner Gruppe das Kommando, umzukehren. Beim Wienfluss trafen sie auf uniformierte Sicherheitswachebeamte, die einige Griasler arretiert hatten. Die nun größer gewordene Kolonne zog flussaufwärts. Sie stieß auf weitere hier schlafende Menschen, die ebenfalls nach den Leichenteilen und dem Kopf befragt wurden. All das brachte jedoch keinerlei nützliche Hinweise.
    Plötzlich war eine Unzahl von Stimmen und Schritten zu hören. Gespenstisch tanzten Lichter auf den dunklen, schnell dahinfließenden Wassermassen. Von flussaufwärts, wo auf Höhe der Engelgasse 18 die Überdachung des Wienflusses begann, kam eine Gruppe von uniformierten Sicherheitswachebeamten, die eine ziemlich große Schar von Obdachlosen vor sich hertrieb. Der leitende Polizei-Oberkommissär machte Nechyba Meldung. »Herr Inspector, wir haben leider nix gefunden. Keine Leichen, keine Gliedmaßen, keinen Schädel. Gar nix. Und die Griasler da haben auch alle nix gesehen oder gehört. Es ist ein Jammer …«
    »Kruzitürken!«, brüllte Nechyba, der fürchtete, dass die Razzia ein Schlag ins Wasser würde, die Griasler an. »Am liebsten täte ich euch G’fraster allesamt im Kanal ertränken. Ihr verlauste Bagasch 19 , was glaubt ihr denn? Glaubt ihr, ihr könnt uns Polizisten papierln 20 ? Ich sag euch was, ihr kommts jetzt alle mit ins Polizeigebäude. Dort werden wir euch so lange einsperren, bis irgendeiner von euch redet. Gemma!«
    Während der Inspector brüllte, rückte die Schar der Obdachlosen immer enger zusammen. Sie zogen die Schultern ein und duckten die Köpfe. Ein spindeldürrer Bub aber brach aus der Gruppe aus und rannte über die Eisengalerie oberhalb des Schleusenraums, die auch ›Fliegende Brücke‹ genannt wurde, davon. Nechyba brüllte: »Pospischil, schnapp ihn dir!«
    Sein spindeldürrer Assistent rannte wie ein Wiesel hinter dem Buben her. Dieser drehte sich um, sah den Polizeiagenten und rutschte aus. Damit hatte Pospischil ihn. An den Haaren schleifte er das Kind über die Eisenbrücke zurück zu den anderen. Am Rande des Wienflusses zwang er den Buben auf die Knie und steckte dessen Kopf in das schäumende Wasser. Immer und immer wieder. Er ließ ihn gerade nur so viel Luft schnappen, dass er nicht erstickte. Dazu schrie er in einem fort: »Du dreckige Rotznase! Du Schießbudenfigur! Du Hosenscheißer! Du glaubst doch nicht, dass du uns auskommst? Wir finden dich überall! Im letzten Kanalloch! Du dreckige Rotznase! Du Schießbudenfigur! Du Hosenscheißer …«
    Ungerührt – wie in Trance – sahen der Inspector und die anderen Polizisten dem Wüten Pospischils zu. Plötzlich trat ein alter Mann aus der Gruppe der Obdachlosen hervor. Katzbuckelnd näherte er sich Nechyba. Leise sagte er: »Herr Oberpolizeirat, ich bitt’ Sie! Hören Sie auf mit dem Wahnsinn! Keiner von uns hat auch nur ein Stückerl von einer Leich’ gegessen. Und das, obwohl wir alle einen Mordshunger haben … Die einzige Leich, von der ich g’hört hab, ist ein Schädel, den’s in der Zwingburg vor einigen Tagen g’funden haben. Den hat der narrische Toni dort aufgebahrt. Und den tut er jetzt täglich anbeten. Weil er glaubt, dass das der Kopf von Johannes dem Täufer ist.«
    Nechyba atmete auf. Und Pospischil hielt inne. Er ließ den Buben los, ging zu seinem Chef und fragte: »Schau ma in die Zwingburg?«
    Nechyba nickte nur. Darauf nahm Pospischil den Alten am Arm und sagte: »Gemma! Gemma! Jetzt statten wir der g’schissenen Zwingburg einen Besuch ab.«

XIV.
    Leo Goldblatts Begeisterung über die Teilnahme an einer Großrazzia im Wiener Kanalsystem war von Anfang an nicht sonderlich groß. Warum sollte er da unten herumkriechen und sein schönes Gewand dreckig machen? Andererseits fühlte er sich geschmeichelt, dass der dicke Nechyba ihn eigens in der Redaktion angerufen hatte, um ihn zu diesem seltsamen Ausflug einzuladen. Rein beruflich betrachtet, konnte er sich sowieso nicht davor drücken. Schließlich war er ja derjenige gewesen, der mit dem gefrorenen Finger und dem Kontakt zu Schöberl die ganze Geschichte ins Rollen gebracht hatte. Und der Artikel über den Kannibalismus hatte auch mächtig Wellen geschlagen. Jetzt erwarteten sich sein leitender Redakteur, der

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