Reigen des Todes
Kameraden erzählten ihm später, dass er mitten auf der belebten Simmeringer Hauptstraße umgefallen sei. Dadurch kam die im tadellosen Gleichschritt marschierende Kompanie völlig durcheinander. Passanten begannen zu gaffen. Korenyi befahl anzuhalten. Zwei Soldaten aus Popovics Zug mussten ihn heim in die Kaserne schleifen. Alles in allem: Ein äußerst blamabler Auftritt in der Öffentlichkeit.
In der Kaserne tobte Korenyi vor Wut. Er befahl Oblak und Biasutti, Popovic so lange unters kalte Wasser zu halten, bis er wieder bei sich sei. Außerdem sollten sie ihm ruhig ein paar kräftige Watschen geben. Was sie allerdings nicht taten. Als er mit patschnassem Schädel, begleitet und gestützt von seinen beiden Offizierskollegen, vor Korenyi stand, konnte er immer noch nicht alleine gerade stehen. Das erboste Korenyi noch mehr, er verzichtete allerdings aufs Herumschreien und zischte nur einige Beleidigungen auf Ungarisch. Plötzlich stand sein Bursche in der Kompaniekanzlei. Auf Befehl Korenyis packte er den Leutnant unter den Achseln und brachte ihn auf sein Zimmer. Dort fiel Popovic in sein Bett und schlief.
Seine Kameraden erzählten ihm später, dass beim Mittagessen im Offizierskasino die Offiziere der 2. Kompanie mit Häme und Spott empfangen wurden. Man nannte sie ›weiche Brüder‹, die nicht einmal einen Vormittag Gefechtsdienst am Laaer Berg durchstehen könnten. Nach dem Essen setzte sich Oberst Daler, der Regimentskommandant, zu den Offizieren der 2. Kompanie. Bei Kaffee und Zigarre philosophierte er über das Ansehen der Deutschmeister bei der Bevölkerung und stellte fest, dass das Umkippen eines Leutnants auf offener Straße eine Schande für das gesamte Regiment darstelle. In weiterer Folge ordnete er eine Reihe von Maßnahmen an, mit denen der Schuldige zu bestrafen sei. Sie waren von exemplarischer Härte, damit so etwas nicht wieder vorkomme.
Als Popovic am nächsten Morgen zum befohlenen Rapport bei Hauptmann Korenyi antrat, belegte dieser ihn mit einer Woche Einzelhaft, sechs Monaten Ausgangssperre sowie einem Alkoholverbot im Offizierskasino während dieser Zeit. Da er nun vollkommen ausgenüchtert war, kombinierte sein Hirn blitzschnell, dass er damit ein halbes Jahr lang auf dem Trockenen sitzen würde. Eine Ungeheuerlichkeit! Nein, das wollte er sich nicht bieten lassen. Er bat den Hauptmann, sprechen zu dürfen, was dieser erlaubte. Kurz und bündig teilte Popovic dem Korenyi mit, dass er den Dienst quittiere. Der Hauptmann sah ihn verblüfft aus seinen roten Augen an – er hatte letzte Nacht selbst ziemlich arg gesoffen – und erwiderte in leisem, väterlichem Ton: »Geh Popovic, sei nicht deppert. Wegen der Strafe musst doch nicht gleich den Dienst quittieren. Schau, ich kann dir Folgendes versprechen: Nach einem Monat geh ich zum Oberst Daler, der dir diese Strafe eingebrockt hat. Ich werd auf ihn einwirken, dass er die Ausgangssperre und das Alkoholverbot im Kasino früher aufhebt. Ich bin sicher, der Alte lässt mit sich reden.«
Popovic blieb jedoch stur und bat nochmals in aller Form, Abschied nehmen zu dürfen. Korenyi zuckte mit den Schultern und riet ihm, auf der Stelle den Abschiedsbrief zu schreiben: »Wennst mir jetzt schriftlich deinen Abschied mitteilst, brauchst die Einzelhaft gar nicht antreten. Das nehm ich auf meine Kappe. Wenn du wirklich gehen willst, beurlaube ich dich mit sofortiger Wirkung.«
Erleichtert antwortete Popovic mit einem »Danke, Herr Hauptmann!«, begab sich auf sein Zimmer und setzte dort sein Quittierungsansuchen auf. Das brachte er umgehend in die Kompaniekanzlei hinunter.
Korenyi überflog es und nickte seufzend. »Na gut, Popovic. Gib mir deinen Säbel und deine Pistole. Zieh die Uniform aus und lass sie von deinem Burschen in die Bekleidungskammer bringen. Dich möchte ich spätestens in zehn Minuten in Zivil das Kasernengelände verlassen sehen. Hier hast du einen von mir unterschriebenen Passierschein. Ich werde jetzt Meldung beim Oberst Daler machen. Falls der irgendwie böse reagieren sollte, darfst schon nicht mehr in der Kaserne sein. Weil sonst musst die Einzelhaft trotzdem absitzen. Also schleich dich, Popovic! Und pass auf dich auf, draußen im Zivilleben. Du Schweinkerl …«
Als er sich an diese Szene erinnerte, schoss ihm das Wasser in die Augen. Voll Sehnsucht und Selbstmitleid dachte er an die Zeit beim Deutschmeisterregiment und an die dort herrschende Kameradschaft. Er begann vor sich hinzuheulen. Und als er
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