Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
ziehen. Und ihn zu dem zu verleiten, was er getan hatte. Merkwürdig war nur, dass sich niemand wirklich dafür zu interessieren schien. Da verschwand mitten in Wien ein Mensch, ein Offizier. Aber weder die zuständigen militärischen Stellen noch die Polizei kümmerten sich intensiv darum. Im Gegenteil. Man fand einen Unterarm sowie den Kopf der Leiche, beerdigte beides feierlich und ließ Gras über die Sache wachsen. Wenn man ihn doch nur verhaftet und verhört hätte! Dann hätte er sein Gewissen erleichtern können. So aber schleppte er die Last seiner Tat mit sich herum.
     
    Er trank. Wurscht was. Der Kellner brachte ihm in regelmäßigen Abständen ein Bier und einen doppelten Barack. Auf den Geschmack von Barack war er übrigens bei der Sauferei mit Schwarzer gekommen. Und während aus den anderen, umliegenden Lokalen das Klirren der Gläser und die fröhlichen Stimmen der Gäste ertönten, hörte man hier in diesem Gastgarten nur die melancholischen Wiener Lieder der nicht sehr motivierten Kapelle. Wie auf der Leinwand eines Kinematografen, so flimmerten die Geschehnisse der letzten Wochen durch Popovics alkoholisiertes Gehirn. Immer wieder erlebte er den absoluten Tiefpunkt seines bisherigen Lebens. Es war vor circa zehn Tagen, als er mit Kameraden ebenfalls im Prater ausgegangen war. Man tanzte und soff. Letzteres tat er in besonders exzessivem Ausmaß. Er konnte sich kaum mehr an irgendetwas erinnern. Seine Kameraden erzählten ihm später, dass er steif wie ein Brett umgefallen sei. In bewusstlosem Zustand hätten sie ihn in die Kaserne getragen. Am nächsten Morgen musste ihn sein Bursche anziehen und zur Standeskontrolle in den Kasernenhof schleppen. Auch während der Standeskontrolle musste ihn sein Bursche stützen. Korenyi, der für alkoholische Exzesse einiges Verständnis hatte, duldete dies schweigend. Danach beim morgendlichen Kaffeetrinken in der Kompaniekanzlei, schickte Korenyi alle anwesenden Chargen und Unteroffiziere hinaus. Erst als die Offiziere unter sich waren, brüllte er Popovic an. Dann befahl er dem Oblak und dem Biasutti, Popovic in den Waschraum zu bringen und dort seinen Schädel so lange unter kaltes Wasser zu halten, bis dieser wieder nüchtern sei. In einer Viertelstunde erwarte er, dass die Kompanie gefechtsmäßig adjustiert im Kasernenhof angetreten sei. Es werde heute nämlich einen verschärften Gefechtsdienst auf den Wiesen des Laaer Bergs geben.
    »Dort wird der Leutnant Popovic die Gelegenheit haben, die unmäßig genossenen Mengen Alkohol herauszuschwitzen!«
     
    Halbwegs ausgenüchtert marschierte Popovic im Verband der 2. Kompanie des k.u.k. Infanterieregiments N° 4 über den Rennweg, durch die Simmeringer Hauptstraße und die Grasberggasse zu den grünen, sanften Höhen des Laaer Bergs. Dort mussten sie mehrere Anhöhen im Sturmlauf nehmen. Er keuchte mehr schlecht als recht hinter seinen Kameraden her. In seinem linken Augenlid, in den Armen und Beinen tobte ein Heer von krabbelnden Ameisen. Diese Kreislaufstörungen ließen sowohl das Augenlid als auch die Extremitäten seltsam stumpf und bleiern wirken. Immer wieder musste er kurz stehen bleiben, wenn sich die endlose Leere hinter seinen Augenhöhlen in ein schwarzes Nichts zu verwandeln drohte. Stinkender Schweiß klebte an seinem Körper, sein Schädel dröhnte. In seinem Mund befand sich statt der Zunge ein rauer, aufgequollener Fetzen, der sich nach ein paar Tropfen Wasser sehnte. Wasser forderte auch der Dauerbrand in seinem Schlund. Endlich, endlich hatten sie die letzte Höhe genommen. Korenyi befahl eine kurze Pause.
     
    Er taumelte zu Oblak und Biasutti. Sie stützten ihn und gaben ihm aus ihren Feldflaschen Wasser zu trinken. Dies bewirkte eine vorübergehende Besserung. Kurz darauf rebellierte aber sein Magen und er musste das mit Alkohol angereicherte Wasser sowie jede Menge Magenschleim erbrechen. Ein Vorkommnis, das ihm sehr peinlich war.
     
    Später, als sie in der glühenden Mittagshitze die endlos lange Grasberggasse zurückmarschierten, versagten ihm einige Male die Beine und er stolperte. Jedes Mal konnte er sich jedoch wieder fangen und weitermarschieren. Als sie in der Simmeringer Hauptstraße angelangt waren, befahl Korenyi: »Im Gleichschritt! Marsch!«
    Nach einigen hundert Metern wurden seine Knie plötzlich weich wie Pudding. Er knickte ein, und das schwarze Nichts, das den ganzen Vormittag in seinem Kopf gelauert hatte, übernahm die Kontrolle über seinen Körper. Seine

Weitere Kostenlose Bücher