Reigen des Todes
über sein Bierglas gebeugt dasaß und weinte, legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter. Eine ihm bekannte Stimme lallte: »Ah, der Herr Leutnant … Hat er Kummer? Dann muss er trinken! Herr Ober, zwei Barack!«
Popovic sah auf und erkannte Schwarzer. Er genierte sich für seine Tränen, wischte sie umständlich mit dem Ärmel seines Sakkos ab, schnäuzte sich einmal kräftig in Richtung Boden, schluckte und antwortete: »Wie geht’s dem Filmgeschäft?«
»Dem Filmgeschäft geht’s gut. Sie sollten auch ins Filmgeschäft einsteigen. Dann geht’s Ihnen auch gut. Dann wird alles gut.«
»Ja, aber ich hab ja keine Ahnung davon …«
»Na, das ist ja das Gute. Das Filmgeschäft ist jung. Neu. Und keiner hat eine Ahnung. Ich auch nicht. Prost, Herr Leutnant! Übrigens hat mein fotografisch geschultes Auge Sie auch in Zivil sofort erkannt.«
»Prost. Aber bitte sagen S’ einfach Herr Popovic oder Hansi zu mir. Ich hab nämlich den Dienst quittiert.«
»Ah, deswegen keine Uniform. Macht nix. So g’fallen S’ mir eh besser. Also wollen S’ ins Filmgeschäft einsteigen?«
»Na, wenn S’ meinen, dass das gut ist …«
»Das ist sehr gut. Ab sofort sind Sie mein Mitarbeiter. Sie werden mir die Damen rekrutieren. Darauf trinken wir jetzt.«
Und so wurde für den Hansi Popovic aus einem tieftraurigen Abend eine feuchtfröhliche Nacht. Eine Nacht, die in Begleitung zweier böhmischer Wäschermädeln in Schwarzers Atelier einen erotischen Ausklang fand.
X/2.
Die noble Blässe ihrer zarten, nackten Füße zog ihn magisch an. Mit großer Hingabe und Inbrunst küsste und leckte Nikolaus Collredi den rechten Moravec’schen Fuß; vom Rist abwärts bis zur großen Zehe. Die nahm er mit delikater Vorsicht und hingebungsvoller Zärtlichkeit in den Mund. Mit geschlossenen Augen nuckelte er nun, glücklich wie ein Säugling. Dabei fiel ihm plötzlich die in weniger als einer Woche stattfindende Kinderhuldigung für Seine Kaiserliche Majestät ein. Und während er immer heftiger an der großen Zehe lutschte, sah er vor seinem geistigen Auge den aus eintausendfünfzig Kindern gebildeten Chor. Er sah und hörte auch das Orchester der Wiener Philharmoniker und die Kapelle des k.u.k. Infanterieregiments N° 4, die gemeinsam mit dem Chor ein gewaltiges Klangerlebnis schaffen würden. Überwältigt von dieser Vision, biss er in die Moravec’sche Zehe, wofür er umgehend einen Tritt an den Kopf bekam.
»Bist narrisch g’worden?«, fauchte ihn die Moravec an. »Komm sofort von da unten herauf und untersteh dich, eines meiner Zecherln 32 noch einmal in den Mund zu nehmen.«
Ein wohliger Schauer rieselte Collredi über den Rücken. Wie ein gut abgerichteter Hund gehorchte er seiner Herrin. Er kroch an ihre Seite zurück und kuschelte sich an ihren Busen. Wohlig geborgen und überglücklich erinnerte er sich an den Augenblick, als er nach tagelanger verzweifelter Suche die Steffi im Limonadenpavillon am Graben erspäht hatte.
Zuerst hatte er gedacht, dass er halluziniere. Doch als er sich eiligen Schrittes näherte, sah er das weibliche Wesen, das er so sehr begehrte, tatsächlich vor einem Glas Limonade sitzen und gelangweilt in die andere Richtung schauen. Um Contenance ringend, war er an ihren Tisch getreten, hatte sich geräuspert, einen guten Tag gewünscht und gefragt, ob er Platz nehmen dürfe. Mit kühler Miene gestattete sie es ihm. Nachdem er über eine halbe Stunde eifrig Konversation betrieben hatte, taute Steffi Moravec auf. Schließlich willigte sie sogar ein, ihn in sein Palais zu begleiten, um dort den Fünf-Uhr-Tee mit ihm zu nehmen. Beim Tee erkundigte er sich vorsichtig und taktvoll nach den Gründen ihres plötzlichen Verschwindens. Er erhielt keine direkte Antwort. Sie gab ihm vielmehr zu verstehen, dass sie aufgrund von finanziellen Problemen derzeit bei einer Bekannten wohne. Collredi erfasste ihre Lage sofort. Steffi war von seinem verstorbenen Freund Vestenbrugg ausgehalten worden. Nach dessen Ableben konnte sie sich die recht ansehnliche Wohnung in der Salesianergasse nicht mehr leisten und war deshalb bei einer Freundin untergeschlüpft. Das ließ auf massive Geldprobleme schließen. Und während er artig weiterplauderte, ihr höchstpersönlich Tee, erlesenes Gebäck und kandierte Früchte reichte, reifte ein Plan in seinem Kopf. Er wollte dieses prachtvolle junge Weib besitzen und sich gleichzeitig von ihr besitzen lassen. Ihre offensichtliche Mittellosigkeit bildete dafür die
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