Reigen des Todes
Leckerbissen verwöhnt hatte. Es war schon ein vermaledeites Unglück, dass sie zwei Tage später aus der Wohnung hinausgeworfen worden war. Ob Collredi sie wohl vermisste oder gar suchte? Wo sollte er sie suchen? Wenn, dann dort, wo er sie zufällig schon einmal getroffen hatte: in der Innenstadt rund um den Graben.
›Ich bin doch wirklich ein blöder Trampel!‹, dachte sie sich. ›Statt dass ich dort auf und ab flaniere, treibe ich mich hier am Naschmarkt herum. Hier findet mich der Graf nie! Und falls er mich doch nicht sucht, muss ich ihn suchen. So charmant, wie er sich mir gegenüber verhalten hat, mag er mich sicher. Ich muss ihn finden, den Grafen! Alles andere wird sich dann ergeben.‹
VII/2.
»Au! Können s’ nicht aufpassen?«, schrie die Moravec, als sie in Gedanken versunken vor sich hin ging und in einen Mann hineinrannte.
Der drehte sich um, erkannte sie und sprach mit sanfter Stimme: »Servus, Steffi. Dich hab ich ja schon lang nicht mehr gesehen!«
»Servus, Stani, na, das ist eine Überraschung.«
Stanislaus Gotthelf, Planetenverkäufer und Naschmarkt-Casanova, verwickelte die Moravec in eine ausgedehnte Plauderei. Er erzählte ihr, dass er nun einen Filialbetrieb habe: den kleinen Pepi. Der stand am anderen Ende des Naschmarktes, bei der Wiedner Hauptstraße, und verkaufte dort Horoskopzetterln. Ihm habe er seinen erfahrenen Papagei Toni gegeben. Er selbst habe jetzt die Hermi. Steffi konnte nicht umhin, die bunt gefiederte Papageiendame zu bewundern. Ein ausgesprochen schönes, exotisches Viech … Gotthelf ließ seinen ganzen Charme spielen, denn Steffi gehörte zu den weiblichen Wesen in der Gegend, mit denen er noch kein amouröses Abenteuer gehabt hatte. Und das hätte er natürlich gerne nachgeholt. Steffi spürte das und überlegte auch einen Augenblick lang, ob sie sich darauf einlassen sollte. Schließlich war der Stani immer tadellos angezogen, gekämmt und gewaschen. Ein sauberes Mannsbild. Wenn sie jetzt zu ihm in seine Wohnung gehen würden, könnte sie sicher bis zum Abend dort bleiben. Und müsste nicht weiter durch die Gegend irren … Der Stani, der wie ein Bluthund seine Chance witterte, machte ihr ein verlockendes Angebot: »Komm, Steffi, lass dir von der Hermi kostenlos ein Horoskop ziehen. Vielleicht gibt dir das einen Hinweis darauf, dass wir schon lange füreinander bestimmt sind.«
Steffi ging auf das Angebot ein. Nach einigem Zögern und mit der nötigen Ermunterung von Gotthelf pickte der Papagei mit dem Schnabel einen Horoskopzettel aus dem Kasten, den Gotthelf um den Bauch trug. Sie nahm dem Vogel den Zettel aus dem Schnabel und Hermi krächzte: »Dein Glück, dein Glück! Brrrrrring ich zurrrrrrück!«
Steffi riss den zusammengeklebten Zettel auf und las:
Frau Venus steht dir bald ins Haus – ein Liebesglück wird schnell daraus.
Sie wurde rot und musste laut lachen. Gotthelf fasste das als positives Signal auf, legte ihr die Hand um die Hüfte und zog sie sanft zu sich. Mit treuherzigem Augenaufschlag fragte er sie: »Willst mit mir nach Hause kommen?«
Steffi zögerte ganz kurz, hauchte dann dem Stani ein Busserl auf die Wange und entwand sich seinem Griff. »Heute nicht, Stani. Vielleicht ein anderes Mal. Danke für das Horoskop! Baba!«
Und damit war sie im Menschengewühl des Marktes verschwunden. Steffi Moravec hatte jetzt nur einen Gedanken im Kopf: Sie musste Collredi finden! Davon durfte sie sich von nichts und niemandem abhalten lassen.
Gotthelf blieb völlig verdattert zurück. Er stand mit offenem Mund da und staunte. Dass ihn mitten in einer Charmeoffensive eine Frau einfach stehen ließ, war ihm noch nie passiert. Und während er gerade versuchte, seine Contenance wiederzuerlangen, krächzte die Papageiendame: »Heute nicht! Heute nicht!« Und fügte noch ein kräftiges »Geh scheißen!« hinzu. Eine Phrase, die die Hermi von Toni – Gotthelfs anderem Papagei – gelernt hatte.
VIII/2.
Beschwingt betrat Leo Goldblatt das Landtmann. Am frühen Nachmittag hatte er ein Gespräch mit dem Herausgeber gehabt. Neben diversen organisatorischen Punkten kam die Sprache auch auf Goldblatts Berichterstattung im Fall Vestenbrugg. Der Herausgeber lobte die journalistische Arbeit seines Chronikredakteurs und hob besonders den Artikel über die Razzia im Wiener Kanalsystem hervor.
»Dafür haben Sie sich ganz schön die Füße nass machen müssen.«
»Was heißt nass machen? Ich bin barfuß durch den reißenden Wienfluss gewatet. Das Wasser
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