Reigen des Todes
den Titel des Films beziehungsweise die Firma, die dieses Machwerk produzierte, in Erinnerung?«
»Bedaure. Leider war unsere Runde schon ein bisserl beschwipst, als wir uns dieses Machwerk, wie Sie es nennen, ang’schaut haben. Ich weiß nur eines: In dem Film ist es um Hypnose gegangen.«
Das ist aber dürftig, dachte sich Nechyba. Seufzend stand er auf und bat den Oberleutnant, ihn in die Pathologie zu begleiten, um dort die Leiche des Popovic zu identifizieren. Auf dem Weg dorthin gab Dunzenberger ihm einen weiteren interessanten Hinweis. Er solle in den Tageszeitungen unter der Rubrik ›Unterhaltung‹ die Programme der Kinematografen durchforsten. Diese hätten immer wieder Aufführungen von sogenannten ›Pariser-Abend-Films‹ beziehungsweise von ›Herrenabend-Films‹ im Programm. Ergo müssten die Betreiber der Kinematografen Auskünfte über die Herstellerfirmen solcher Filme geben können. Das war eine ausgezeichnete Idee, dachte sich Nechyba. Und dann kam er zu einer Schlussfolgerung, zu der auch Goldblatt unlängst gekommen war. Der Dunzenberger scheint ja tatsächlich unter seinem Militärtschako 84 so etwas wie einen Verstand zu haben.
V/4.
»Lauter Graffelwerk und Glumpert 85 «, schimpfte Anastasius Schöberl, als er Stöße von schweren Glasdiapositiven, Stapel von Filmrollen, Foto- und Filmkameras, unzählige Schachteln mit Fotonegativen, die Dunkelkammerausrüstung und die Chemikalien zum Entwickeln der Filme sowie Ordner voll mit Rechnungen und geschäftlicher Korrespondenz, Drehbücher, Lieferanten- und Darstellerkarteien und noch allerlei anderes Zeug, das sich im Laufe der Jahre in Johann Schwarzers Büro angesammelt hatte, in Holzkisten verpackte. Dabei wurde er immer wieder von Hustenanfällen heimgesucht, denn auf den meisten Sachen lag eine ziemlich dicke Staubschicht. Als notorischer Junggeselle hatte Schwarzer keinen Sinn für Tätigkeiten wie Staub wischen oder gar einmal ordentlich alles putzen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss festgestellt werden, dass Johann Schwarzers Büro ein ziemlicher Saustall war. Schöberl, den dieser Saustall anfangs sehr fasziniert hatte, weil er sich hier in aller Ruhe Hunderte Aufnahmen von unbekleideten Mädchen und Frauen ansehen durfte, war ziemlich sauer, dass er jetzt alles aufräumen und zusammenpacken musste. Der Grund war die Übersiedelung in ein viel größeres Atelier, das ganz in der Nähe am Arenbergring 15 lag. Auf Anordnung der ›gnädigen Frau‹, so nannte er die Moravec, hatten er und Popovic dort meterlange Regale gezimmert, in denen nun all das Archivmaterial sowie die geschäftlichen Unterlagen der Saturn-Film untergebracht werden sollten. Schöberl ließ sich auf einer Kiste nieder. Der arme Popovic! Ein wirklich lieber und einfühlsamer Mensch war das gewesen. Einer, den die ›gnädige Frau‹ vollkommen kaputtgemacht hat. Zuerst, als sie ihn zur Beseitigung der Leiche dieses Oberstleutnants gebraucht hatte, hatte sie ihn in ihr Bett gelockt und ihm den Kopf verdreht. Sobald die Leiche entfernt war, hatte sie ihn eiskalt fallen lassen und sich als Liebhaber einen Markgrafen angelacht. Und wie der Popovic seinen Seelenkummer fast überwunden hatte, war sie plötzlich hier in der Saturn-Film aufgetaucht. Sie hatte ihm neuerlich Hoffnung gemacht und sich sogar mit ihm verlobt. Gleichzeitig aber fing sie mit dem Schwarzer ein Pantscherl 86 an. Und als der Schwarzer ihr total hörig war, ließ sie den Popovic einfach wieder fallen. Von diesem Zeitpunkt an war er für die zur ›gnädigen Frau‹ aufgestiegene Moravec wieder Luft. Wenn sie ihm im Atelier begegnet war – und das kam mehrmals täglich vor – sah sie einfach durch ihn durch. Das hat der Popovic schließlich nicht mehr ausgehalten. Da hat ihm auch der Doktor Freud nicht mehr helfen können. Denn jeder Mensch hat sein ganz persönliches Quantum an Leidensfähigkeit. Bei dem einen ist es größer, bei dem anderen weniger groß. Und wenn man in seinem Leben besonders viel Pech hat, ist dieses Quantum irgendwann einmal aufgebraucht. Und dann ist’s aus …
»Ich soll net blöd vor mich hin philosophieren, sondern lieber schauen, dass ich was weiterbring«, schalt sich Schöberl, stand auf und schlichtete die nächste Kiste mit dem Film-Glumpert voll. Schließlich wünschte die ›gnädige Frau‹, so rasch wie möglich auf den Arenbergring umzuziehen. Und mit ihr durfte er es sich auf keinen Fall verscherzen. Schließlich waren die Jahre als Obdachloser
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