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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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schaffen? Und jetzt wieder in der Vorahnung: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?! Ich, seit jeher zu schwach für die Meinen, und zugleich? und deswegen? auserwählt, oder sich das vorgaukelnd, für etwas anderes, ganz anderes – das Andere? Oder umgekehrt der von vornherein Auserwählte, und von daher nicht bestimmt für die Gemeinschaft, gleichwelche. Als ein Auserwählter tabu? Rührt mich nicht an, ich bin tabu für euch!? – Betet für mich!«
    War es von da an, daß das Leben meines im Verlauf der Begebenheiten verschollengehenden Freundes ansetzte, sich in eineGeschichte für sich zu verwandeln? Wenn das so war, dann freilich ohne Jäheit und Schrecken. Was mit ihm geschah, begann sehr sanft, und blieb auch lange so. Es war zunächst, und blieb das auch lange, nichts als Alltäglichkeit, und zwar jene liebe, die ihm, gerade zum Schutz vor seinem Bewußtsein, jemand ganz Besonderer zu sein, als ein Lebensideal vorschwebte, als Alltäglichkeit überdies eine harmlose, und so begütigende: Nichts Friedlicheres als so eine, aber auch – warum aber? – nichts Freudigeres als solche Alltäglichkeiten, wie sie ihm in der Folge begegnen sollten – nichts Kindlicheres. Oder?
    Die Geschichte, die eigentliche, die besondere, begann an einem Tag im Sommer, Wochen vor der Geburt seines Kindes. Aus Haus und Garten war er aufgebrochen in die nahen Hügelwälder, durch die der kürzeste Weg, erst sanft hinauf, dann tief hinab, in die Hauptstadt führte. Er hatte dort nichtszu tun, wollte sich nur mit seiner hochschwangeren Frau zum Nachtmahl treffen; er war episodisch von dem Tribunal, wo er wieder einen wegen Kriegsverbrechen Angeklagten verteidigen sollte, freigestellt. Im Bedürfnis, zu gehen statt zu fahren, und zwar, wie um des Ungeborenen willen, weit, hinauf und hinab, hinunter und hinauf, ließ er das Auto in der Garage und ließ auch den Vorortbahnhof Bahnhof sein. Er durchquerte die Hügelwälder, welche eine nicht gar hohe Barriere zur Metropole bildeten, in Anzug, Krawatte und Hut (weder »Borsalino« noch »Stetson«).
    Der Weg führte durch Laubwälder. Welch ein Unterschied zu den Fichten-, Tannen- und Kiefernwäldern unser beider Kindheit. Die Wälder im anderen Land waren licht von Kopf bis Fuß, die Bäume, Eichen, Edelkastanien, Buchen und Birken im Abstand, die wechselseitigen Äste und Zweige unverzahnt, fast kein Unterholz,und bei Sonne durchschien die den ganzen Wald, auch wenn der sich weithin dehnte. Der Ausdruck »lichte Weite« bekam derart eine andere Bedeutung. Anfangs hatte ihm solche Helligkeit nicht behagt. So wie es im andern Land den Spruch gab, Weißwein sei »kein Wein«, so dachte er, die Laubwälder seien keine Wälder. Die Düsternis, das Dunkel, die Enge, die Beengung, das Sich nicht bloß Durchfinden, sondern Sich-Durchschlagenmüssen, sie fehlten ihm. Außerdem, bei all ihrer lichten Weite, kamen ihm diese Laubwälder unsauber, nein, eher unrein vor, anders gesagt, er vermißte in ihnen das Gefühl der Reinheit, das er einst in den Nadelwäldern, und gerade in deren Tiefe, bei aller Bangigkeit – Reinheit damit verbunden – erlebt hatte; selbst die vermadeten Pilze und selbst die Skelette, so besonders weiß, der Rehe, Füchse, Hasen, strahlten dort im und auf dem Moos etwas Reines aus. Dazu kam, daß er lange Zeit, bis vielleicht zu jenem Sommertag, die Laubwälder kaum als Orte für sich aufnahm, als Umgebung, als Raum oder Räumlichkeiten, sondern eher als bloße Zwischenbereiche und Durchgangsstation vom Ausgangsort A zum Zielort B – ausgenommen jenes eine Mal, da er zusammen mit seiner späteren Frau unterwegs in wieder eine andere Stadt durch so einen Blätterwald gegangen war und sie ihn unversehens, er wußte nicht mehr, ob am Hemd oder am Gürtel – jedenfalls nicht an der Krawatte und schon gar nicht an den Haaren – weggezogen, fast -gerissen hatte, mit einem Ausdruck im Gesicht, als sei sie es, die ihn retten müßte.
    Bisher hatte er beim Durchqueren der besagten Laubwälder auch noch nie eigens zu Boden geschaut. Überhaupt war das seit langem nirgendwo mehr der Fall, ebenso wie er seit langem nicht mehr eigens himmelauf blickte – ausgenommen wieder jenes eine Mal, da ihn sein Beruf in ein Bürgerkriegsland geführt hatte, und da nur in den sternklaren Nächten, wenn die Bomben zielsicher fielen. Beruf oder nicht: Sein Blick ging in seiner Weltmannzeit entschieden geradeaus, jeweils in Augenhöhe.
    Das war auch so an dem Sommernachmittag, als er, mit

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