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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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»leiser Schall«?: ja – derPassagierflugzeuge, dazu das sporadische Geknatter der Hubschrauber vom und zum nahgelegenen Militärflughafen – »dazu«?: ja. Es konnte den Passagieren dort oben im Luftraum nichts geschehen, nicht jetzt, nicht in dieser Stunde jedenfalls, nicht während dieses Flugs. Und von den Autobahnen und Peripherieschnellstraßen jenseits der Wälder ein noch nie in solchem Gleichmaß gehörtes Brausen, Dröhnen und Röhren, im Gleichmaß damit auch das Hupengellen, sogar die Ambulanz- und Polizeisirenen, und all das mehr oder weniger nahe und ferne Getöse zudem im Gleichmaß mit dem ebenso zum ersten Mal so gehörten Sausen des Sommerwaldlaubs zu seinen Häupten, dem Aneinanderklopfen und -schaben, dem Knarren, Quietschen, gar Pfeifen und Flöten, da, und da, eines oder mehrerer in den Windböen übers Kreuz oder einander in die Quere kommender Äste. Und das Böse, das draußen in der Welt, Ohren auf für die Sirenen und jetzt den Schlußknall!, gleichzeitig passierte und bevorstand, jetzt, und jetzt? Meinetwegen – soll es doch – halb so schlimm. Auch ihm, wie er da lag, konnte im Augenblick nichts geschehen und ebenso nicht seiner Frau, samt dem Kind unter ihrem Herzen. Der Pilz neben ihm war sein, ihrer zwei, ihrer drei Glückspilz.
    Mein Freund konnte sich später nicht mehr erinnern, wie er seinen ersten Steinpilz, den hongo , den jurcˇek , den vrganj , den cèpe , den boletus edulis , endlich gepflückt hatte. War es ein Pflücken gewesen? Ein Ausgraben? Ein Ausreißen? Ein Rupfen? Ein Aus-der-Erde-Drehen? Was er sagen konnte: Er hatte ihn »eingeheimst«, im übrigen ohne Ausschau zu halten, ob im Umkreis vielleicht noch andere, weitere stünden. Und gewiß ist, daß er den Schatz für den Weiterweg hinauf und hinab in die Megapole weder in eine seiner Anzugstaschen zwängte noch in seinem Hut versteckt hat: Er trug ihn offen in der Hand, welche zugleich den Hut festhielt, und bewegte sich so, ohne auch nur einmal die Positur zu wechseln, in den übrigen Nachmittagsstunden, bis in den Abend hinein, auf das mit seiner Frau vereinbarte Ziel zu, vom Stadtrandbus umgestiegen in die U-Bahn, und zuletzt wieder zu Fuß. Und kein Mensch hatte Augen für das, was er neben dem Hut, oder in dessen Krempe, durch das Gedränge balancierte und manövrierte, so als handle es sich um einen besonders heiklen Transport.
    Schatz? Schatztransport? In der Tat war ihm während jener Sommerstunden, als seien seine Tagträume von sehr früh, wo er als Schatzsucher einen Schatz fand, einen, mit dessen Hilfe er zugleich zaubern konnte, in Erfüllung gegangen, wenn der Schatz auch ein so anderer war als in seiner Kindervorstellung. Dort, damals, hatte er sich den Schatz, der auf ihn, ja, wartete, »wem sage ich das?«, als etwas Metallisches, Mineralisches, Edelsteinernes, jedenfalls Hartes und Unzerstörbares, etwas Handfestes vorgestellt. Und nun: Der ihm bestimmte Schatz, der Schatz, der ihn – ohne daß ihm das noch im Sinn gewesen war – all die Zeit erwartet hatte, war etwas im ersten Moment durchaus Hartes, anders Handfestes, überdies Elastisches, dann aber weich und weicher Werdendes, etwas spürbar Verderbliches, entfallen die anfängliche Elastizität, auch der ursprünglich so reine Duft – nach »Nüssen«, wie man sagte? –, rein der Duft »Duft« – verpufft nicht nur durch die Stadtluft, und übergehend in Zwiespältigkeit: Etwas derart Vergängliches als höchsteigenen Schatz zu erleben, war das nicht kindisch? Die Antwort meines Freundes, auf der Schwelle zum endgültigen Pilznarrentum, und auch noch Jahre und Jahrzehnte später: »Nein!«
    Als er seiner Frau in der Bar, wo sie verabredet waren, den Schatzfund zeigte – selbst ihr war der nicht aufgefallen –, rißdie Hochschwangere die Augen auf, freilich vor Schreck. Sie zuckte zusammen, zugleich das Ungeborene in ihr. Er mußte sie überreden, den Pilz in die Hand zu nehmen, der immer noch ansehnlich war, der Pilzhut mit einem Schimmer letzter Feuchtigkeit, das Unterhutfleisch weiß wie gerade erst aus der Erdtiefe ans Licht gestoßen. Sie hielt das Ding weit von sich weg und beäugte es weniger mit Bewunderung als mit einem gewissen Grausen. »Wie häßlich!« sagte sie, und es half auch nichts, daß er sie auf die eine zugleich lichtere Stelle im Rotbraun des Huts aufmerksam machte, in Form des Eichblattes, welches darauf gelegen hatte. Dabei war sie doch vom Land wie er, wie gesagt, eine aus dem Nachbardorf.
    Es hatte erst

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