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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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wenngleich sportlichen (beim Fußball und dergleichen wieder jener Rhythmus aus Ab- und Anwesenheiten, mit dem er seine Gegner übertölpelte und überspielte) Jüngling kannte. Und ein »Frauenheld« ein Held? Und »Glück haben bei den Frauen«? Glück? In meiner Phantasie lachen wir beide, mein verschollener Freund und ich, im Duett.
    Es war in dieser Periode seines, wie sagt man?, gesellschaftlichen Aufstiegs, daß ich ihn allmählich aus den Augen verlor. Er ließ mir weiterhin Lebenszeichen zukommen, welche freilich nie von dem handelten, was über sein Leben in den Zeitungen umlief. Dem bloßen Hörensagen habe ich nie recht vertrauen können, den Zeitungen, weißgottwarum, schon eher, obwohl ich da, als zeitweise selber Betroffener oder auch nur Gemeinter, eigentlich eher ungläubig hätte bleiben sollen: Wenn es dagegen andere als mich betraf, war ich geneigt, dem, was gleichwo gedruckt stand, ziemlich blind zu glauben, zumindest in meinen früheren Jahren, und sogar jetzt noch, wenn auch inzwischen nur noch auf den ersten Blick. Den Zeitungen zufolge sollte ich demnach wissen, daß mein Dorffreund, der nachmalige Weltmann, »immer in italienischen oder französischen Anzügen, in englischen Maßschuhen, mit wechselnden Seidenkrawatten für jede Jahres- und gar Tageszeit«,zum dritten oder vierten Mal verheiratet war und sich gerade von seiner letzten Frau, der Indianerin aus Fort Yukon/Alaska, getrennt hatte – seine Frauen, wurde vermittelt, seien von Mal zu Mal »exotischer« geworden –, während anderswo verlautete, es sei die Frau gewesen, die ihn verlassen habe, wie er, schon von seiner ersten Frau an, der Verlassene gewesen sei: Ob da nicht ein Geheimnis, ein nicht unbedingt schönes, hineinspiele? Und überhaupt: Wie stand es mit Kindern? – über die Jahrzehnte kein einziges.
    Etwa zur gleichen Zeit dagegen eins seiner persönlichen Lebenszeichen: Im Augenblick seien die ersten Schneeflocken durch seinen Garten geweht. Beim Laubrechen am Morgen sei wie jedesmal das Rotkehlchen – »immer dasselbe, oder bilde ich mir das nur ein?« – aus dem Gebüsch geschwirrt, »völlig lautlos auf der frischgerechten schwarzen Erde aufsetzend, lautloser als jedes Baumblatt«. Er lese meine Geschichte vom Leben in der Niemandsbucht und finde sich selber darin miterzählt. Und außerdem – »das ist allein für Dich bestimmt, sag es niemandem weiter!« – sei er der Frau begegnet, bei welcher ihm endlich der ersehnte Ruck zuteil geworden sei, das heiße, vor ihr stehend sei es endlich »ernst geworden«, was er sich seit jeher mit einer Frau erträumt hätte, und »ernst geworden«, das solle heißen, er habe sie, die Andere, auf der Stelle »erretten« wollen, »in Sicherheit bringen«, und sich selber mit, auch wenn vielleicht weder sie noch er es nötig hatten, gerettet oder in Sicherheit gebracht zu werden – nicht fürs erste – »noch nicht!« So oder so: Sie seien einander auf halbem Weg begegnet, und das nicht nur »bildlich gesprochen«. Im übrigen stamme die Frau, auch das, wie er es sich seit jeher erträumt habe, »aus unser beider Gegend, lieber Freund«, aus dem Nachbardorf. Und der Gipfel: Sie hätten einst an derselben Haltestelle auf den Bus gewartet,wenn auch zu ziemlich verschiedenen Zeiten – doch was seien »alle die verschiedenen Zeiten gegen die Andere Zeit«?
    Er habe sich mit der Nachbardorffrau von einem Tag zum nächsten – »oder wenn Du willst: über Nacht« – zusammengetan, und sie beide erwarteten für den Sommer ein Kind, von dem sie und er schon insgeheim den Namen wüßten, ohne daß dieser ausgesprochen zu werden brauchte. »Ja, mein Freund: Die Frau, sie hat mich heimliche Wege geführt, wie’s bei Deinem Wolfram von Eschenbach heißt. Wünsch mir nicht Glück, aber Gutes: daß ich gut sei, immerzu. Bete für mich. Ich brauche das. Ich fühle, ich allein bin zu schwach, gerade jetzt, da es endlich ernst geworden ist. Zu schwach für solch einen Ernst. Ich ahne das, ich befürchte das. Die Frau, sie vertraut mir, und wie. Ich aber vertraue mir nicht. Ich habe Angst vor mir. Ja, bete für mich. Wer betet für mich? So schwach ich mich einerseits fühle, so andrerseits, und das ist es, das mir jetzt in meiner Lage Angst vor mir macht, auserwählt. Ja, seit ich damals Hals über Kopf weg von den Meinen zum Waldrand gerannt bin, zum Alleinsein mit dem Blätterrauschen und Zweigesausen, fühle ich mich als Auserwählter, auch in dem Sinn: Was habe ich mit euch zu

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