Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren
asiatische Familie, eine regelrechte Sippe von Urgroßmutter bis zu den Urenkeln – erinnerte ihn das nicht an jene andere Sippschaft? – beim Edelkastanienaufstöbern. Und da die Polizeipatrouille. Und da, wo der Weg breiter wurde, die Boulespielpensionisten.
Und er im Gleichgewicht mit ihnen allen, Schatzsucher und zugleich Alltagsmensch, Mitmensch, und solch ein Gleichgewicht, war in der Tat, Schatz hin, Schatz her, eineKostbarkeit. Der Planet Erde hatte ein halbes Leben lang ihm eher nur mitgespielt: Jetzt – hier spielte er mit ihm, und er? Spielte mit. Spielte mit in dieser Gesellschaft. Die Gesellschaft der verschiedenen, der grundverschiedenen – gerade der –, es gab sie! Und dazu gehörte, daß sein jeweiliges Abseitsgehen und Fremdgehen begleitet wurde von dem Gefühl, zugleich einer Gewißheit, mit solchem Handeln tue er den ihm Anvertrauten, den Seinen, zu denen auch »seine« Angeklagten gehörten, gut und tue überhaupt Gutes.
Und er, der da, mit den Pilzen in der Hand? Eine Zeitlang hatte er sich so noch als jemand Unzugehöriger gefühlt, im Widerspruch zu der Szenerie. Seinesgleichen, Gestalten wie er, die weder auf den Wegen noch den Trampelpfaden, sondern in die Kreuz und in die Quer zwischen den Bäumen und Sträuchern, auch im Kreis, gingen, Schritt für Schritt, auffällig langsam,oder überhaupt nur dastanden oder -hockten, halb verdeckt von Stämmen und Laubwerk, die unversehens aus dem Dickicht traten und vielleicht gleich wieder darin verschwanden, die konnten, gelinde gesagt, nicht Teil des Spiels werden, noch dazu mit den unbekannten, so befremdenden Objekten, die sie vor sich hertrugen oder die sich gar verdächtig in ihren Tragetaschen bauchten. Im besten, will heißen, im harmlosesten Fall waren solche wie er Randfiguren, ohne jeden Bezug zu dem großen Spiel, ja, störten das Spiel sogar, sowie sie sich da und dort auf den Plan verirrten.
Dann aber kam der Augenblick, da er, der Dahinschlingernde, -spiralende, noch dazu in einem so gegensätzlichen Rhythmus zu sämtlichen Akteuren, noch dazu als der in der Einzahl sich durch die Landschaft Bewegende – die Läufer zeigten sich jeweils zu mehreren, und selbst einer allein wirkte als Mehrzahl –, sich als ein Mitakteur sah. Ergehörte ins Spiel. Er ergänzte es, er mischte es auf. Ohne sein Aufhalten, Kreuzen, Tangenten-Ziehen, Aus-dem-Bild-Stolpern in der Rolle des Pilzsammlers würde der Weltbühne, zumindest der des Sommers und Herbstes, etwas fehlen. Einer wie er mit auf dem Plan sorgte für einen anderen Wind. Und in diesem Wind erschien jeder einzelne ihm unter die Augen Kommende an seinem Platz und hatte seine Art, er selber eingeschlossen, und wie noch nie gab das ein Bild der Gesellschaft, der menschlichen, einer idealen.
In diesem Bewußtsein ging er waldaus und weiter durch die bevölkerten Großstadtstraßen und war seine zuvor als eingefleischt oder, von der Dorfseite her, als knechtisch empfundene Menschen- und Kopfscheu wie für allezeit los. Ich, eine Randfigur, vielleicht gar ein Illegaler? Seht her! Und damit meinte er auch, was er mit sich beziehungsweise vor sich hertrug. Und nicht wenigegingen so auf sein Spiel ein; gehorchten ihm, blieben stehen, erzählten, wie auch sie früher einmal … dort, wo sie herstammten … nur daß sie die von damals viel prächtiger in Erinnerung hatten … – Und zu guter Letzt dann am Ende des Tages die Heimkehr des Sammlers, eine ganz andere als die Heimkehr der Jäger.
In jener glücklichen Periode, welche er zugleich als Sphäre erlebte – als eine sphärische Phase –, traf mein Freund, der Pilznarr, auch kaum auf einen Konkurrenten. Die Begegnungen mit anderen Suchern waren selten, und wenn, so hatten die ihre Suchplätze und -gegenden woanders oder suchten zu anderen Zeiten als er. Es kam wohl vor, daß er einen kreuzte, der wie er mit gesenktem Kopf, Schritt um Schritt, innehaltend, bedächtiger nicht möglich, seine langsamen Spiralen quer durch die Wälder zog. Aber, anders als später, wichen sie zwei einander nicht aus und zeigten sogar, wennes der Fall war, ihre Schätze, ihren Schatz her, und dann beneidete einer den anderen, was, laut einer der nahöstlichen Religionen, »erlaubt« ist, weil man in solchem Beneiden das Gleiche oder Ähnliche für sich selber wünsche, ohne es aber, wie beim nackten, dem unerlaubten Neid, es ihm zu neiden, im Sinne von: es ihm wegzuwünschen. Und auch lange später hielt er sich dann immer wieder vor, was ihm so eine
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