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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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jemals zu Gesicht bekommen, etwas ihm Neues; oder er entdeckte in der Folge solchen Aufblicks auf dem Waldboden weder den gesuchten Pilz, noch eine andere Art, noch einen unbekannten Dritten, entdeckte so überhaupt nichts Neues, sondern gewahrte einzig, nach der Sphäre zu seinen Häupten, die Sphäre vor seinen Schuh- oder Stiefelspitzen: Ja, auch das hieß ihm Sphäre!
    Von dergleichen Selbstermahnungen ging mein Freund in seinen Notaten fürs geplante Pilzbuch über zu an sich selber gerichteten Befehlen. So befahl er sich zum Beispiel, sooft er über eine geraume Zeit, Suchschritt hin oder her, Himmelblick hin oder her, nichts, aber auch gar nichts vor Augen bekommen hatte vom Begehrten – erschrieb an einer Stelle sogar vom »Ersehnten«! –, statt dessen etwas anderes, und nicht nur andere, ihm eher wertlose Pilze, sondern Beeren, auch vertrocknete, oder Edelkastanien, auch verfaulte, verschimmelte, verkohlte: »Sammle! Wende dich seitwärts! Bück dich! Stöbere! Wende! Grab um!« Solche Selbstanherrschungen, wie auch im Hinblick auf das Aufsammeln bedeutungsloser anderer Dinge, wobei man dem Boden so viel näher kam und das einen wieder auf die Suchspur brachte, sollten wohl zugleich auch die künftigen Leser seines Pilzbuches zu leiten.
    Das verkleidete er eine Zeitlang in eher vorsichtige Empfehlungen. So riet er – »aus langjähriger Erfahrung« (obwohl es damit nicht gar so weit her war) –, entweder nah an den Wegen und Pfaden zu suchen oder entschieden davon entfernt: Die großen Zwischenbereiche zwischen Wegrand und schwer zugänglichem Waldinnern seien inder Regel für »die Unsrigen« – womit er die wertvollen Pilze meinte, am Anfang von ihm noch »die Meinigen« genannt – kein fruchtbarer Boden; die Mehrzahl, ja fast alle seine »Schätze« habe er jeweils nah an den Wegsäumen gefunden; weg von den Säumen in der Regel lange lange nichts; und im tiefsten Innern aber, das selber erst entdeckt werden müsse, im Gestrüpp dort, im Dreck, in der Asche, am finsteren Fuß eines halbtoten Baumkrümels, der Boden übersät von Revolverkugeln, noch so eine Regel, der eine Schatzfund, der einzelne, der allesüberragende: »Hallo, du König!« Einmal entfuhr ihm sogar ein »Salve, Kaiser! Ave, Caesar!«
    In einer ähnlichen Absicht erzählte er, wie er es sich zur Regel gemacht habe, auch dort zu suchen, wo schon andere auf die Suche gegangen waren, selbst wenn die, nach offensichtlich gründlich geleisteter Arbeit, das Unterste nach oben gekehrt, den Platzund Plan soeben erst verlassen hatten, gerade dann – und ein jedes Mal fand er sich, »ungelogen«, vor etwas, das seine Vorgänger übersehen hatten, und das »aller Ehren wert war«.
    Ebenso empfahl er, was gewisse Arten betraf, nicht genau da zu suchen, wo im Vorjahr eine besonders reiche Fundstelle ausgefächert gewesen war: Es sei wieder so eine Regel, daß solche Völkerschaften übers Jahr, über Winter und Frühling, unterirdisch weiterzögen, dem Wasser nach, den Winden hakenschlagend, und oft zum Staunen weit weg frisch an das Licht und die Luft fächerten; weit weg zwar, jedoch nicht gar zu sehr, von ihrem Ursprungsort aus zu erwittern – der Sucher habe nur, wie ihm jahraus, jahrein geschehen, Witterung aufzunehmen. Und so riet er auch ab, an Waldstellen mit Hundespuren zu suchen, empfahl dafür Pferde, samt deren Mist. Und noch eindringlicher empfahl der PilznarrOrte im Wald, wo Kinder gespielt hatten, oder gerade jetzt, vor Augen des Suchers, weiterspielten, wild schreiend und kreuz und quer rennend. Vielversprechende und geradezu verläßliche Fundorte waren, laut seinen Notizen, »kaum zu glauben, aber wahr!«, die in der Nähe von Kinderschaukeln, auch außerhalb der Wälder, in Parks, auf Wiesen, in Gärten.
    Ein ganzes Kapitel sollte in seiner Pilzbuchunternehmung den Wäldern mit Bombentrichtern gewidmet werden. Solche Wälder gab es in der Umgebung seines Wohnsitzes nah dem Internationalen Gericht viele; die Bombentrichter rührten vom Ende des Zweiten Weltkriegs, und die Bomber waren amerikanische gewesen, welche so mithalfen, die deutschen Besatzer aus dem Land zu jagen. Die Trichter waren längst leer, keine Spur mehr von den explodierten Bomben, die Wälder, allesamt benachbart dem einst von den Besatzern benutzten Militärflugplatz, gleichsam rhythmisiert von den Trichtern, so dicht auf dicht, daß nicht wenige einander sogar überschnitten. Unterschiedlich groß waren diese Trichter, nicht immer rund, einige auch

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