Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren
kraterartig zerlappt, und vor allem hatten sie verschiedene Tiefen, und sie variierten auch je nach Steilheit und Flachabfall der Trichter- und Kraterwände, oft zusätzlich innerhalb eines einzelnen Trichters. Da unten, am Trichterboden, tief unter den jahrzehntealten Laubablagerungen, war er auf die reichsten Fundstellen gestoßen, und es kam vor, daß er die Schichten gar nicht eigens zu durchstöbern und umzuwälzen brauchte: Der Pilz, die Pilze waren von selber an den Tag gekommen, zumindest mit den Hüten, welche, aus den Trichtern aufgewachsen, größer als sonst die Hüte waren, annähernd auch in der Trichterform, mit der Eigenart, daß sie, statt braunrotgelb wie die üblichen, fast farblos erschienen, weißlich oder reinweiß wie nur die tödlichsten der Giftpilze,oder »nein, nicht weiß, vielmehr fahl«, und unter den Hüten der ebenso fahle Stiel, wieder mit der Eigenart, daß er, aus dem Untergrund gebuddelt, lang und immer länger erschien, in der Regel mehr als doppelt so lang wie seine Artgenossen außerhalb der Trichter (»der Geruch und Geschmack allerdings gleich köstlich«).
Aber nicht allein deswegen wollte der Pilznarr ein ganzes Kapitel lang von den Bombentrichterwäldern erzählen: Er hatte auch den Hintergedanken, seinen künftigen Lesern schlicht und einfach das Gehen in derartigen Wäldern zu empfehlen – sie anzustecken mit seiner Lust, sich dort zu bewegen, ab und auf, ab und auf durch die mit weichem tiefen Laub gepolsterte Bombentrichterlandschaft. Sooft er diese, oft Stunden um Stunden, durchquert hatte, war ihm dann, selbst ohne besondere Funde, als komme er beschert aus solch einem Wald, und wenn auch bloß das Atmen freier wurde, der Sinn für Horizonte geweckt. »Durch das Gehen auf und ab in den Bombentrichtern? « – »Ja, gerade so.«
Sein Pilzbuch, es sollte gegen Ende mehr und mehr das Gewicht verlagern, vom Pilzsuchen hin zum Gehen. Zwar wollte er weiterhin, sozusagen zum Ausklang, von seinem In-die-Pilze-Gehen erzählen, aber auch, wie mit den Jahren seine Leidenschaft – nein, nicht etwa schwächer, eher »zweispurig« geworden war. Denn immer häufiger geschah es, daß er, sowie er die Wahl zwischen mehreren Wegen zum In-die-Pilze-Gehen hatte, sich für den ihm schöner oder abenteuerlich dünkenden Weg entschied, mochte der auch weniger oder geringere Fundsachen verheißen. Der Weg und das Gehen hatten mit der Zeit mindestens ebensoviel Gewicht bekommen wie das Suchen und Finden. In unser beider Kindheitsgegend waren insbesondere die Bewohner der höher im Gebirge gelegenenDörfer kaum »in die Pilze gegangen«, geschweige denn zu einer Suche nach ihnen aufgebrochen: So nah hausten sie an den Wäldern, und so sommervoll waren die, wenigstens von den Gelben, den Pilzen des Heiligen Johannes, daß sie, kaum aus der Tür getreten, den Korb oder die Schüssel schon voll hatten; statt »suchen« gebrauchten diese Leute das Wort »holen«, »bei uns sucht man nicht – man holt einfach!«
Das aber, in den Augen des Pilznarren, war ungültig. Es hatte gesucht zu werden. Es hatte gegangen zu werden. Es galt, das war als Drittes dazugekommen, einen schönen, den schöneren, den schönsten Weg zu wählen. Und ebenso: Zu mehreren auf die Suche zu gehen, gar als Gruppe, das galt nicht. Einzig das »Alleingehen« war gültig – ungültig sogar das Suchen zu zweit –, einzige Ausnahme: mit einem Kind. Besonders verpönt in seinem geplanten Pilzführer: Suchengehen mithilfe eines Hundes(da fanden in seinen Augen nur Schweine Gnade). – Wie dann aber auf den begehrtesten der Pilze, die Trüffel, in der Erdtiefe stoßen, oder gestoßen werden? Wie sie herausschnüffeln? Dazu skizzierte er die Geschichte, wie er selber, allein, eines Sommers unversehens am Fuß der Kinderschaukel vor einer leibhaftigen Trüffel gestanden habe: ein schwarzer Buckel, oberirdisch, in der senkrechten Mittagssonne, seltsam dieser Hundedreck da, aber der duftet von unten herauf, aus fast zwei Metern, duftet wie eine Trüffel, aber das ist ja eine!, den Buckel mit bloßen Händen ausgegraben, jetzt, da, die Kugel, wie ist sie ans Licht gekommen, ah, der Sturzregen letzte Nacht, weggeschwemmt die Erde, die Trüffel, ohne Hund oder Schwein, zutagegebracht, wie schwer sie ist in der Hand, wie die furchige schwarze Kugel duftet und duftet, bis hinein in die folgende Liebesnacht und zu ihr hinaus, aber das war doch keine Eiche, aus deren Wurzelwerk der Knollen hervorgewaschen wurde, auch kein sonstiger
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