Reine Glückssache
gründlich.
»Was guckst du so blöd?«, fragte Lula. »Guckst du auf meine Zähne?«
»Nein! Ich schwöre. Ich habe nur … in den Tag hineingeträumt.«
Nach dem Imbiss gingen wir zu unseren Autos. Ich hatte einen halben Kilometer auf der Route 1 zurückgelegt, gleich würde auf der rechten Seite das Motel auftauchen, das Morelli-und-Gilman-Motel.
»Wahrscheinlich habe ich die beiden damals gar nicht gesehen. Ich habe nur gedacht, dass ich sie gesehen hätte«, schwafelte Lula. »Ich habe es mir eingebildet.«
Lula unterbrach sich, denn vor einem der Motelzimmer stand Joes Truck.
»Oh, was sehe ich denn da?«, sagte Lula.
Ich fuhr hundertdreißig und war bereits einige hundert Meter weiter, als ich in die Bremsen latschte. Cal und Junior rasten an mir vorbei, krasses Staunen und kaltes Entsetzen auf den Gesichtern. Ich haute den Rückwärtsgang rein, setzte den Escape mit moderaten achtzig am Straßenrand zurück und bog auf den Motelparkplatz. Von Cal und Junior war nichts zu sehen.
»Glaubst du, dass er wegen einer polizeilichen Angelegenheit hier ist?«, fragte Lula. »Vielleicht ist es eine Falle.«
»Er arbeitet nicht mehr bei der Sitte. Obendrein gehört das hier nicht zum Einzugsgebiet von Trenton.«
»Mach bloß keine Dummheiten, die Tür eintreten oder so.«
Ich stellte mich hinter einen Kleinbus mit getönten Scheiben am hinteren Ende des Parkplatzes. »Hast du eine bessere Idee?«
»Wir könnten uns von hinten ranschleichen und lauschen. Wenn wir sie vögeln hören, können wir immer noch die Tür eintreten.«
Statt Morelli und Gilman in flagranti zu erwischen, würde ich lieber anklopfen, und Morelli müsste halb nackt die Tür aufmachen. Mir fiel nichts Deprimierenderes ein, als Morelli dabei zu sehen oder zu hören, wie er unser Lieblingsspiel Salamiversenken mit jemand anderem spielte als mit mir. Andererseits wollte ich ihm auch nichts Falsches unterstellen. »Gut«, sagte ich. »Gehen wir hinten rum.«
Wir gingen seitlich am Haus vorbei und fingen dann an, die Zimmer abzuzählen. Jedes Zimmer hatte zwei Fenster nach hinten raus, wahrscheinlich ein Badezimmer- und ein Schlafzimmerfenster, überlegte ich. Im ersten Haus befanden sich zwölf Zimmer, alle zu ebener Erde. Eine Rasenfläche umrahmte den hinteren Teil des Hauses. Jenseits des Rasens befand sich überwuchertes Gestrüpp, in dem allerlei Abfall lag: ein Plastikkasten für Milchkartons, Getränkedosen, eine zerschlissene Matratze. Keine Ahnung, was hinter dem Wäldchen war.
In allen Zimmern waren die Vorhänge zugezogen. Vor jedem Fenster lauschten wir kurz, aber es war nichts zu hören. Aus dem siebten Zimmer vernahmen wir Geräusche. Lula und ich drückten die Ohren an die Fensterscheibe. Die Stimmen klangen gedämpft, es war schwierig, etwas zu verstehen. Das Fenster war geschlossen. Die Klimaanlage war in das Vorderfenster montiert. In dem Vorhang am hinteren Fenster war etwa in der Mitte ein Schlitz. Lula ging auf Zehenspitzen zu dem Wäldchen und holte den alten Milchkasten. Sie stellte ihn unter das Fenster und bedeutete mir, draufzusteigen und durchs Fenster zu spähen.
Das kam überhaupt nicht in Frage. Nie und nimmer würde ich durch das Fenster gucken und mir ansehen, was im Zimmer vor sich ging. Ich flüsterte Lula zu, sie sollte doch selbst hineinschauen.
Lula stieg auf den Kasten, drückte sich die Nase an der Scheibe platt … da klingelte ihr Handy. Lula fasste nach dem Handy, das im Bund ihrer Stretchhose klemmte und schaltete den Klingelton ab. Zu spät. Alle hatten das Klingelzeichen gehört.
Rufe drangen aus dem Motelzimmer. Ein Schuss. Ein großer Mann in einem beigen Anzug flog krachend durchs Fenster und stieß Lula von der Kiste.
»Was soll der Scheiß?«, sagte Lula, die, verheddert in den Vorhangstoff, übersät mit Glassplittern, ausgestreckt auf dem Boden lag.
Ich hatte keinen blassen Schimmer, was das alles zu bedeuten hatte, aber ich hatte den Schuss gehört, und der Mann, der durch das Fenster gesegelt kam, war nicht Joe Morelli, deswegen prügelte ich mit meiner Umhängetasche auf ihn ein, bis er in die Knie ging. Ich drohte ihm mit der Waffe, in dem Moment steckte Morelli den Kopf durch die zerborstene Fensterscheibe.
»Oh, Mist!«, sagte Morelli, als er mich sah, und tauchte geduckt wieder ins Zimmer ab.
Jetzt kamen Männer von beiden Seiten des Hauses her gerannt, höchstwahrscheinlich Polizisten, aber kennen tat ich keinen von ihnen. Zwei trugen FBI-T-Shirts. Morelli ging zu ihnen.
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