Reingekracht: Familien-Bullshit-Bingo (German Edition)
sich gehetzt:
„Alles in
Ordnung
Schatz? Geht es
los
?“
„Mir geht es gut“, beruhigte Susi ihren Mann, „Nino hatte eine kurze Kreislaufschwäche.“
Gerd schaute mich an, als müsse ich gleich sterben und packte mein Handgelenk, um den Puls zu messen. Dabei schaute er abwechselnd auf seine Uhr und auf mich, als erwarte er einen spontanen Exitus.
„Erhöht“, brummte er.
„Natürlich erhöht. Nino ist verliebt“, erklärte Susi lachend. Wie ein Pflaster, das man besonders rasch abriss, damit es nicht wehtat, flutschte sein Todesnachrichtenblick weg und wurde durch ein hell erfreutes Lächeln ersetzt.
„Na, das ist ja eine wunderbare Neuigkeit! Wie heißt er denn?“ Er sagte es zu laut, für meinen Geschmack jedenfalls. Außerdem irritierte mich, dass er ebenfalls völlig selbstverständlich davon ausging, dass ich mich in einen Mann verliebt hatte.
„Er erwidert die Gefühle nicht“, unterrichtete Susi ihren Göttergatten, noch ehe ich etwas sagen konnte. Ich starrte zu den anderen und wurde nervös. Ich ahnte Schlimmes.
„Dann ist er ein Arschloch!“, gab Gerd trocken von sich.
„
Wer
ist ein Arschloch?“, fragte Brigitte, eine Freundin der Familie, die sich wie der Rest der Meute langsam und mit gespitzten Ohren näherte. Ich versuchte mit reiner Willenskraft unsichtbar zu werden.
„Nino hat sich in einen Mann verliebt, aber der liebt einen anderen“, setzte Susanne sie in Kenntnis.
„Ach nein!“, jammerte Brigitte und setzte sich zu uns. Dabei blickte sie mich, triefend vor Mitleid, an, neigte sich etwas vor und berührte tröstend mein Knie.
Keine fünf Minuten später saß beinahe die ganze Familie um mich herum. Man tätschelte meine Schenkel, die Hände, meine Schultern und sprach mit mir, als wäre ich ein schwerkrankes Kind. Jeder, der neu hinzukam wurde davon unterrichtet, dass ich mich unglücklich verliebt hatte. Niemand kam auf die Idee, dass es eine Frau sein könnte.
So lange Onkel Wolf, Julia und Patrick davon nichts mitbekamen, war ja alles gut. Vermutlich waren sie im Garten. Unter normalen Umständen hätte ich mich mit Julia und Onkel Wolfgang ebenfalls im Garten verkrochen und wäre nur zu den entscheidenden Momenten herein gekommen: Essen, Gratulation, Kaffee und Kuchen.
Mit von der Partie war meistens auch Carina, Brigittes Tochter, die seit langem ein Auge auf mich geworfen hatte. Ob sie auch wusste, dass ich schwul war? In diesem Moment wankte sie ins Wohnzimmer, überrascht davon, dass sich alle wie eine Traube um mich versammelt hatten. Ihr Erscheinen bereitete mir Sorgen. Sie war so etwas wie eine Vorbotin und es war damit zu rechnen, dass in Kürze auch die anderen hereinkommen würden.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie als habe sie beobachtet, dass die Mitglieder ihrer Gruppentherapie Unfug trieben. Sie studierte nämlich Psychologie.
„Nino hat sich verliebt, aber der Angebetete liebt einen anderen“, kam es von rund fünfzehn Leuten wie aus einem Munde. Es war ein beeindruckend koordinierter Chor und ich bezweifelte, dass man das so stimmig hinbekommen hätte, wenn man es vorher geprobt hätte. Unter allen anderen Umständen hätte ich dem sogar wirklich etwas abgewinnen können, doch Carina war leider nicht die Einzige, für die dieser Chor die Darbietung erbracht hatte.
Julia und Patrick standen im Türrahmen. Hinter ihnen begann Onkel Wolf begeistert zu klatschen. Er wusste einen gelungenen Chor offensichtlich zu schätzen. Dann packte er Patrick mit seinen fleischigen Händen am Oberarm, baute sich mit seinem Walkörper vor ihm auf und fragte laut und deutlich, damit es auch
wirklich
jeder mithören konnte:
„Ist das wahr?“
Patrick wusste nicht, wie ihm geschah. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Hilfesuchend blickte er zunächst zu Julia, dann zu mir.
„Nein“, verteidigte er sich.
Auch wenn er das sagen musste, weil er ja gar nicht wusste worum es ging, lief es mir heiß und kalt über den Rücken. Er hatte dieses
'nein'
zu
mir
gesprochen und mein verliebter Irrsinn versuchte mir einzureden, das hätte etwas zu bedeuten – es wäre ein
Zeichen
.
Onkel Wolf ließ von Patrick ab, wetzte ein paar Schritte auf mich, der eingebettet in ganz viel Mitleid dasaß, zu und schimpfte:
„Warum behauptest du dann so einen Scheiß und lässt dich hier bedauern?“ Dabei glotzte er schnaufend in die Runde und hatte für jeden Einzelnen einen ganz persönlichen, abschätzigen Blick parat.
„Woher soll
Patrick
wissen …“, begann
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