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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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vielleicht
     dagegen, schützte ihn vielleicht. Jetzt, jetzt sollte er aufstehen. Oh, wie oft hatte er das geträumt, daß irgendeine schreckliche
     Gefahr nahte und er nicht aufzuwachen vermochte, so sehr er sich auch anstrengte, und siehe da, der Traum wurde jetzt Wirklichkeit.
     Dann träumte er, etwas blitze vor seinen Augen, und röchelnd wachte er auf.
    Im Zimmer war es hell, der Leuchter brannte auf dem Tisch. Er richtete sich auf und blickte entsetzt um sich, aber es war
     niemand da. Vom Nachbarzimmer drang immer noch das Gemurmel herüber, jetzt viel leiser, und er vermochte nicht festzustellen,
     wer da redete.
    Todesangst schüttelte ihn am ganzen Leib. Er hatte das Gefühl, daß man sich ihm näherte, mit Messern, das Rattenvolk. Er rang
     die Hände, etwas hielt ihn zurück, er konnte nicht aus dem Bett springen.
    Nur der Leuchter beruhigte ihn einigermaßen, der flackernde Leuchter, der Schatten an die Wände warf; das erinnerte ihn an
     sein einstiges Kinderzimmer. Und dann fielen ihm Vanninas fein geformte Hände ein, die er, ohne es zu merken, angestarrt hatte,
     als sie mit dem Leuchter hereingekommen war.
    Wieso habe ich eigentlich Angst, durchzuckte es ihn plötzlich. Jetzt, jetzt, jetzt würde geschehen, was er gewollt, geplant
     hatte. Er würde sterben, aber das wollte er ja auch, und es würde eine schöne, seltsame, geheimnisvolle Frau dabeisein, würde
     ihm zu seinem Tod verhelfen,ein Todesdämon wie auf den etruskischen Gräbern. Jetzt sehnte er sich schon danach. Zähneklappernd
     und mit schreckensstarren Armen, aber doch mit dem Wunsch, daß es geschehe. Soll die Tür aufgehen und das Mädchen eintreten
     und zu seinem Bett kommen und ihn küssen und umarmen, während das mörderische Messer seine Arbeit tut   … sie soll kommen und ihn umarmen   … wenn sie doch bloß schon käme   … wenn doch bloß die Tür aufginge   …
    |249| Doch die Tür ging nicht auf, draußen krähten schon die ersten Hähne, im Nachbarzimmer war vollkommene Ruhe, der Leuchter war
     flackernd erloschen, und Mihály fiel in tiefsten Schlaf.
    Dann wurde es Morgen wie üblich. Er wachte in einem hellen Zimmer auf, einem freundlichen, hellen Zimmer, wachte auf, weil
     Vannina eingetreten war und ihn fragte, ob er ausgeschlafen habe. Es war Morgen, ein freundlicher, normaler italienischer
     Sommermorgen. Bald würde es unglaublich heiß werden, aber im Moment war es noch angenehm. Nur der Nachgeschmack des gestrigen
     Wahns quälte ihn, sonst nichts.
    Das Mädchen erzählte etwas davon, wie betrunken er gewesen sei, aber trotzdem sei er freundlich geblieben und hätte sich bei
     den Versammelten großer Beliebtheit erfreut, und sie hätten ihn dabehalten, weil sie fürchteten, er käme nicht nach Hause.
    Beim Gedanken ans Nach-Hause-Gehen fiel ihm Éva ein, die ihn am Vorabend bestimmt gesucht hatte, um bei ihm zu sein, wenn   … Was sie wohl von ihm denken mochte? Daß er davongelaufen war? Davongelaufen vor sich selbst?
    Da wurde ihm plötzlich bewußt, daß er während der ganzen von Visionen heimgesuchten Schreckensnacht kein einziges Mal an Éva
     gedacht hatte. Die Pause. Die größte Pause seines Lebens. Merkwürdig, um einer Frau willen zu sterben, die einem die ganze
     Nacht – und was für eine Nacht! – nicht einmal in den Sinn kommt.
    So gut es ging, brachte er seine Kleider in Ordnung, verabschiedete sich von ein paar Leuten, die draußen in der Schenke saßen
     und ihn als lieben alten Freund begrüßten.So wie die Sonne durch das kleine Fenster hereinschien, hatten sie gar nichts Rattenhaftes,
     es waren wackere italienische Kleinbürger.
    Und die haben mich umbringen wollen? fragte er sich verwundert. Na gut, es ist nicht unbedingt gesagt, daß sie das wollten.
     Aber es ist doch komisch, daß sie mich nicht ermordet haben, ja, daß sie mich sehr mögen, nachdem sie mir die Brieftasche
     gestohlen haben. Was will man, diese Italiener sind eben komisch.
    Seine Hand tastete unwillkürlich nach der Brieftasche. Sie war an ihrem Platz, über seinem Herzen, wo der Mitteleuropäer,
     nicht |250| ohne eine gewisse Symbolik, sein Geld verwahrt. Er blieb verblüfft stehen und zog die Brieftasche heraus. Die zweihundert
     Lire und das Münzgeld, ein paar zehn-Lire-Stücke, waren vollzählig vorhanden.
    Vielleicht hatten sie die Brieftasche zurückgeschmuggelt, während er schlief – aber was hätte das für einen Sinn? Doch eher
     wahrscheinlich, daß sie sie gar nicht gestohlen hatten. Daß sie

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