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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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steckte Geld in seine Brieftasche, nahm den Hut, und sie machten sich auf den Weg.
    Doch als er im dunklen Treppenhaus die beiden Mädchen vorangehen ließ und hinten alleinblieb, kam ihm plötzlich in den Sinn,
     was es für ein monumentaler Unfug war, daß er jetzt zu italienischen Kleinbürgern zu einer Taufe ging – das konnte auch nur
     ihm passieren. Er war drauf und dran, umzukehren und hinter sich die Tür zu schließen. Doch das Mädchen schien es zu spüren,
     hängte sich bei ihm ein und zog ihn auf die Straße hinaus. Sie schleppte ihn nach Trastevere wie ein Kalb. Mihály spürte eine
     Wonne wie damals, als er bei den Jugendspielen das Opfer war.
    In der Osteria waren die Beteiligten schon versammelt, fünfzehn bis zwanzig Personen. Es wurde enorm viel geredet, auch zu
     ihm, aber er verstand kein Wort, da sie im Trastevere-Dialekt sprachen, und außerdem hörte er gar nicht richtig hin.
    Mihály fuhr erst hoch, als die junge Mutter mit dem bambino auf dem Arm erschien. Die magere, kränkliche Häßlichkeit der Frau
     und die Zitronenhaftigkeit des Kindes erschreckten ihn. Kinder hatte er noch nie gemocht, weder in ihrem neugeborenen noch
     in ihrem späteren Zustand, er fühlte sich von ihnen befremdet und bedroht; und auch Müttern gegenüber fühlte er sich unbehaglich.
     Und diese Mutter und ihr Neugeborenes waren ganz besonders grauenvoll – in der Zärtlichkeit der häßlichen Mutter und der Hinfälligkeit
     des häßlichen Säuglings spürte er eine Art satanischer Madonna-Parodie, eine verwegene Verunglimpfung der großen Symbolgestalt
     Europas. Es war so eine »späte« Angelegenheit   … als ob die letzte Mutter das letzte Kind geboren hätte, während die Leute da nicht wußten, daß sie die letzten Menschen
     waren, der Bodensatz der Geschichte, die letzte, sich selbst verspottende Geste des sterbenden Zeitgotts.
    Von da an erlebte er die Vorgänge in der grotesk-traurigen Perspektive des letzten Tages und der letzten Nacht. So wie diese
     Leute durch die Gassen von Trastevere wimmelten und ihren ebenfalls dort wimmelnden Bekannten hin und wieder etwas zuriefen,
     so wie sie in die kleine Kirche hineinschlüpften, mit so |245| komischen flinken, kleinen Bewegungen, weckten sie in ihm immer stärker den Eindruck:
    Das sind Ratten. Ratten, die in den Ruinen leben. Deshalb sind sie so flink und so häßlich und so fruchtbar.
    Später oblag er benommen seinen Funktionen als Pate, während Vannina neben ihm stand und ihn anleitete. Am Ende der Zeremonie
     überreichte er der Mutter zweihundert Lire und küßte unter großer Selbstüberwindung seinen Taufsohn, der nun Michele hieß.
    (»Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns in unseren Kämpfen; vor der Schlechtigkeit und den Verlockungen des Satans gewähre
     uns Schutz. Gott weise ihn in seine Schranken, so bitten wir kniefällig; und du, Anführer der himmlischen Heerscharen, stürze
     den Satan und die anderen bösen Geister, die in dieser Welt die Seelen bedrohen, mit Gottes Kraft ins Verderben. Amen.«)
    Die Zeremonie hatte lange gedauert. Daraufhin ging alles wieder in die Osteria zurück. Im Hof war schon zum Abendessen gedeckt.
     Mihály war wie üblich hungrig. Er wußte zwar, daß er seinen Pflichten Genüge getan hatte und jetzt nach Hause gehen sollte,
     um den Brief zu schreiben, aber seine starke kulinarische Neugier verlockte ihn abzuwarten, aus was für interessanten volkstümlichen
     Gerichten das festliche Mahl bestehen würde. Sind andere wohl auch hungrig und neugierig auf die Pasta – an diesem Punkt ihres
     Lebens?
    Das Essen war gut, die seltsame, grüne, angenehm nach Gemüse schmeckende Pasta war tatsächlich etwas Spezielles, das Mihálys
     Neugier durchaus verdiente. Die Gastgeber waren zwar auf das Fleisch stolz, denn das aß man in Trastevere selten, aber Mihály
     fand nichts Besonderes daran, um so schwungvoller machte er sich über den Käse her, den er nicht kannte und der ein großes
     Erlebnis war, wie jeder neue Käse. Zwischendurch trank er viel, weil Vannina, seine Tischnachbarin, großzügig einschenkte,
     und auch, weil er die Gespräche nicht verstand und auf diese Weise an der allgemeinen guten Laune teilnehmen wollte.
    Doch der Wein trug nichts zu seiner Laune bei, sondern machte ihn unsicher, maßlos unsicher. Jetzt war es schon Abend. Bald |246| würde Éva in seine Wohnung kommen   … Er mußte aufstehen und nach Hause gehen. Dem stand nichts mehr im Weg, bloß dieses Mädchen ließ ihn

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