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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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nicht. Aber da war schon
     alles weit weg, Éva und sein Vorhaben und seine Sehnsucht, alles weit weg, eine schwimmende Insel auf einem Tiber der Nacht,
     und Mihály hatte das Gefühl, er sei schon so unpersönlich und vegetativ wie der Maulbeerbaum im Hof, auf diese Art lasse auch
     er sein Laub hängen, in dieser letzten Nacht, die nun nicht mehr seine persönliche letzte Nacht war, sondern die der ganzen
     Menschheit.
    Denn es war Nacht geworden, Italiens Sterne standen über dem Hof. Mihály erhob sich und merkte, daß er vollkommen betrunken
     war. Er begriff nicht, wie das hatte geschehen können, er hatte ja gar nicht wirklich viel getrunken – oder vielleicht doch,
     er hatte nicht besonders aufgepaßt   –, und kein Crescendo an guter Laune gespürt, wie es einzutreten pflegte, bevor er ganz betrunken war. Diesmal war er ohne
     Übergang sturzbetrunken.
    Er machte ein paar Schritte auf dem Hof, schwankte und fiel hin. Das war sehr angenehm. Er streichelte den Boden und war sehr
     glücklich. Ach, wie schön, dachte er, jetzt ist es schon so weit. Jetzt kann ich nicht mehr fallen.
    Er spürte, wie ihn die Leute hochhoben und unter Redeschwällen ins Haus brachten, während er schüchtern und bescheiden wiederholte,
     er wolle niemandem zur Last fallen, sie sollten doch, sollten doch unbedingt das Fest fortsetzen, das so rauschend zu werden
     versprach.
    Dann lag er auf einem Bett und schlief sofort ein.
    Als er aufwachte, war es stockdunkel, er hatte Kopfschmerzen, war aber einigermaßen nüchtern, bloß das Herz klopfte ihm, und
     er war unruhig. Warum hatte er sich so vollaufen lassen? Bestimmt war sein seelischer Zustand mitschuldig, er hatte sich mit
     verminderter Resistenz ans Trinken gemacht. Er hatte überhaupt keine Resistenz gehabt, das Mädchen hatte mit ihm gemacht,
     was es wollte. Hatte sie vielleicht auch gewollt, daß er sich dermaßen betrank?
    Er wurde sehr unruhig. Die Nacht kam ihm in den Sinn, als er durch die Straßen Roms gelungert war, bis es ihn vor dieses kleine |247| Haus verschlagen hatte, wo seine Phantasie geheimnisvolle, verbrecherische Dinge hinter die schweigenden Wände projizierte.
     Das war das Haus, in welchem Morde geschahen. Und jetzt war er da drin, die Wände schwiegen betäubend, er lag der Finsternis
     ausgeliefert, was er ja eigentlich auch geplant hatte.
    Eine Weile lag er noch so, in stetig wachsender Unruhe, dann versuchte er aufzustehen. Doch es fiel ihm schwer, sich zu bewegen,
     und schmerzhafte Stiche fuhren ihm durch den Schädel. Er blieb doch lieber liegen. Und er horchte. Seine Augen gewöhnten sich
     ans Dunkel und seine Ohren ans Horchen. Er hörte tausend kleine Geräusche, seltsame, nahe, italienische Geräusche ringsum.
     Das Haus war in allen Winkeln wach. Unter der Tür hindurch sprang ihn eine schwache Helligkeit an.
    Na, die hatten etwas vor   … Was für ein Irrsinn, Geld mitzunehmen! Wo war das Geld schon wieder? Ach ja, er lag angezogen auf dem Bett, es mußte in
     der Brieftasche sein. Er tastete nach ihr. Sie war nicht an ihrem Platz. In keiner seiner Taschen.
    Soviel war also sicher, sie hatten ihm sein Geld gestohlen! Etwa zweihundert Lire. Egal   … die wollen doch sicher noch anderes. Würden sie ihn etwa entschlüpfen lassen, damit er sie anzeigen konnte? Die müßten ja
     verrückt sein. Nein, umbringen wollten sie ihn, ohne jeden Zweifel.
    Da ging die Tür auf,Vannina kam herein, in der Hand so etwas wie einen Leuchter. Sie blickte forschend zum Bett, und als sie
     sah, daß Mihály wach war, schien sie überrascht, und sie trat heran. Sie sagte etwas, das er nicht verstand, das aber nicht
     gut klang. Dann stellte sie den Leuchter hin und setzte sich auf die Bettkante. Sie streichelte sein Haar und seine Wangen
     und ermunterte ihn, doch ruhig weiterzuschlafen.
    Klar, die will, daß ich schlafe, und dann   … Ich werde aber nicht schlafen.
    Dann fiel ihm siedendheiß ein, was für eine Suggestivkraft in dem Mädchen war, und daß er bestimmt einschlafen würde, wenn
     sie es wollte.Tatsächlich, er machte die Augen zu, sobald das Mädchen darüberstrich, und verfiel in einen summenden Halbschlaf.
     In diesem Zustand meinte er zu hören, wie im Nachbarzimmer |248| geredet wurde. Er hörte das Brummen einer rauhen Männerstimme, zeitweise das schnelle Reden eines anderen Mannes und dazwischen
     das geflüsterte Stakkato des Mädchens. Ganz sicher besprachen sie gerade, wie sie ihn umbringen wollten. Das Mädchen war

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