Reise im Mondlicht
entfernten Synagoge schienen in großer Menge bärtige, urzeitliche Juden im Totenumhang ans Tiberufer zu ziehen, wo sie unter
leisem Wehklagen ihre Sünden in den Fluß warfen. Am Himmel kreisten drei Flugzeuge, die einander zuweilen mit Scheinwerferstrahlen
streiften, worauf sie nach Art der großen Vögel in Richtung der Castelli Romani verschwanden, um sich dort auf den Felsen
auszuruhen.
Dann kam mit fürchterlichem Geschepper ein Lastwagen gefahren. Der Morgen ist da, dachte Mihály. Aus dem Auto sprangen rasch
dunkelgrau gekleidete Gestalten, die in ein Torgewölbe hineinrannten, das sich vor ihnen geöffnet hatte. Dann war Glokkenklang
zu hören, und ein Hirtenjunge trieb singend eine wundersame Vergilische Kuh vor sich her.
Jetzt ging eine Kneipentür auf, und da traten zwei Arbeiter zu ihm und forderten ihn auf, ihnen einen Rotwein zu bestellen
und seine Lebensgeschichte zu erzählen. Mihály bestellte den Wein, half ihn auch trinken, ja, bestellte sogar Käse dazu, aber
seine Lebensgeschichte erzählte er aufgrund sprachlichen Ungenügens |207| nicht. Obwohl er die größte Freundschaft für diese Männer empfand, die sicher seine Einsamkeit gespürt und ihn ins Herz geschlossen
hatten und jetzt so lustige Sprüche klopften,bloß schade, daß er sie nicht verstand. Doch dann begann er sich unvermittelt
vor ihnen zu fürchten, bezahlte und lief weg.
Er war wieder in Trastevere. In den lauernden Gäßchen füllte sich seine Seele erneut mit den Bildern eines gewaltsamen Todes,
wie so oft in seiner Jugend, als sie im Ulpius-Haus »spielten«. Was für ein Leichtsinn, sich mit diesen Arbeitern einzulassen.
Sie hätten ihn für seine dreißig Forint umbringen und in die Donau, beziehungsweise in den Tiber werfen können. Und um diese
Zeit in diesem teuflischen Trastevere herumzuhängen, wo man ihn unter jedem dunklen Torgewölbe dreifach abmurksen könnte,
bevor er überhaupt den Mund auftat. Was für ein Wahnsinn … und was für ein Wahnsinn, daß seine Seele von etwas heimgesucht war, das ihn zu Tod und Verbrechen hinzog.
Da stand er auf einmal vor dem Haus, in dem Vannina wohnte. Es war dunkel, mit einem Flachdach und mit Ziegeln ausgelegten
Fensterbögen. Wer mochte da wohnen? Was ging da im Dunkeln vor sich? Was für Entsetzlichkeiten würden mit ihm geschehen, wenn
er da einträte? Ob Vannina wohl … klar, Vannina hatte ihn kürzlich nicht umsonst so beflissen eingeladen. Sie wußte sicher auch, daß er von János Geld bekommen
hatte. Jeder ihrer Verehrer war im Gefängnis gelandet … klar,Vannina wäre fähig zu … Und wenn das jetzt ganz sicher wäre, würde er eintreten.
Er stand lange vor dem Haus, in seine krankhaften Phantasien versunken. Dann auf einmal fühlte er bleierne Müdigkeit und jene
Sehnsucht, die ihn auf seiner Italienreise von Station zu Station begleitet hatte. Doch seine Müdigkeit sagte, die letzte
Station sei nicht mehr weit.
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Am nächsten Tag erhielt er einen Brief. Die Schrift kam ihm bekannt vor, sehr sogar, und doch wußte er nicht, wem sie gehörte,
was, wie er fühlte, eine Schande war. Den Brief hatte Erzsi geschrieben. Sie teilte ihm mit, sie sei in Rom, und sie müsse
unbedingt mit ihm reden, in einer ganz wichtigen Angelegenheit. Er kenne sie wohl gut genug, um zu wissen, daß es sich nicht
um irgendeine Frauenmarotte handelte, ihr Stolz würde es ja auch nicht zulassen, mit Mihály den Kontakt zu suchen, wenn es
nicht in einer hochpeinlichen Sache um die Wahrung seiner Interessen ginge. Sie fühle, daß sie ihm das noch schuldig sei.
Deshalb ersuche sie ihn dringend, sie am Nachmittag im Hotel abzuholen.
Mihály war ratlos. Er hatte große Angst vor einem Treffen mit Erzsi, und jetzt hatte er ein ganz besonders schlechtes Gewissen
und konnte sich auch nicht vorstellen, was sie von ihm wollte. Doch dann siegte in ihm das Gefühl, daß er Erzsi schon genügend
verletzt hatte und nicht auch noch das Treffen verweigern konnte. Er nahm seinen neuen Hut, den er bereits von Patakis Geld
gekauft hatte, und eilte zum Hotel, in dem Erzsi abgestiegen war. Er ließ sie rufen, sie erschien bald und grüßte ihn, ohne
den
Mund zu verziehen. Mihály schwante nichts Gutes. Erzsi zog die Augenbrauen hoch, wie immer, wenn sie sich ärgerte, und ließ
sie nicht mehr herunter. Sie war schön, großgewachsen und in jeglicher Hinsicht elegant, aber auch ein Engel mit dem Flammenschwert … Sie gingen
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