Reise im Mondlicht
daraufhin zerbrochen,
der Wein in Schläuche umgeleert und die Scherben zusammengekehrt, bis aus ihnen ein ganzer Hügel entstand. Mihály las verträumt
ein paar rötliche Scherben auf und steckte sie in die Tasche.
Das sind Kunstdenkmäler,dachte er.Echte kaiserzeitliche Scherben. Kein Zweifel an ihrer Echtheit, was man nicht von jedem
Kunstdenkmal sagen kann.
Kleine Jungen, späte Nachkommen der Quiriten, spielten auf dem Hügel oben Krieg und bewarfen sich mit den Scherben, den zweitausend
Jahre alten Scherben, ohne die geringste Ehrfurcht. Das ist Italien, dachte Mihály, man schmeißt sich die Geschichte an den
Kopf, weil hier zweitausend Jahre so selbstverständlich sind wie auf dem Land der Mistgeruch.
Es wurde Abend, als er wieder in Trastevere vor der Osteria stand, in der er tags zuvor mit János Szepetneki gewesen war.
In |202| Befolgung der örtlichen Gebräuche drückte er sich seinen zerbeulten Hut auf den Kopf und betrat das verrauchte Lokal. Er sah
zwar nichts, hörte aber sofort Szepetnekis Stimme. Der war auch jetzt mit dem Mädchen beschäftigt.
»Störe ich?« fragte Mihály lachend.
»Red keinen Quatsch. Setz dich. Ich habe dich schon mit großer Ungeduld erwartet.«
Mihály war betroffen und schämte sich.
»Aber … ich bin nur auf ein Glas Wein gekommen, ich war gerade in der Gegend und hatte das Gefühl, du seist bestimmt da.«
»Mein lieber Mihály, du brauchst gar nichts zu sagen. Wir betrachten die Angelegenheit als abgeschlossen, und ich freue mich
sehr, daß es so gekommen ist, in meinem Namen und im Namen aller beteiligten Parteien. Und jetzt hör zu. Diese kleine Hexe,
diese Vannina hier, kann sehr gut aus der Hand lesen. Sie hat gesagt, wer ich bin und was ich bin, sie hat ein nicht sehr
schmeichelhaftes, aber sehr treffendes Porträt von mir gemalt. Das ist die erste Frau, die nicht auf mich hereinfällt, sie
glaubt mir nicht, daß ich ein Schlawiner bin. Aber sie sagt mir kein gutes Ende voraus. Ein langes, unruhiges Alter … Laß dir auch prophezeien. Ich bin neugierig, was sie über dich sagt.«
Es wurde eine Lampe gebracht, und das Mädchen vertiefte sich in Mihálys Handfläche.
»Ah, Signore ist ein Glückspilz«, sagte sie. »Er findet an unverhoffter Stelle Geld.«
»Na, was sagst du dazu?«
»Im Ausland denkt eine Dame sehr viel an den Signore. Ein Herr mit Glatzenansatz denkt auch viel an den Signore, aber das
ist weniger gut. Diese Linie bedeutet viele Kämpfe. Der Signore kann ruhig zu Frauen gehen, er wird keine Kinder haben.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nicht so, daß Sie keine Kinder machen könnten, aber es wird doch keine geben. Es fehlt die Vaterlinie. Essen sie im Sommer
keine Austern. Bald werden Sie an einer Taufe teilnehmen. Ein älterer Mann kommt von jenseits der Berge. Oft werden Sie von
Toten besucht …«
|203| Mihály riß die Hand zurück und verlangte Wein. Er betrachtete das Mädchen genauer. In ihrer großbusigen Magerkeit gefiel sie
ihm heute besser als gestern, und sie war auch viel beängstigender, viel hexenhafter. Sie ließ ihre Augen blitzen und verdrehte
sie, bis immer mehr das Weiße sichtbar wurde, und wieder durchfuhr Mihály der nordische Gedanke, daß dieses ganze italienische
Volk verrückt war. Auf großartige Art.
Das Mädchen erwischte wieder seine Hand und fuhr fort, in ihr zu lesen. Jetzt war sie sehr ernst.
»Sie werden bald eine sehr schlechte Nachricht erhalten. Hüten Sie sich vor den Frauen. Alles Schlechte kommt Ihnen von den
Frauen. Ach, Signore, Sie sind eine sehr gute Seele, aber Sie taugen nicht für diese Welt. O dio mio, armer Signore …«
Und sie zog Mihály an sich und küßte ihn heftig und mitleidig, mit Tränen in den Augen. János begann zu lachen:»Brava!« rief
er, und Mihály wurde verlegen.
»Kommen Sie wieder zu uns, Signore«, sagte Vannina. »Ja, kommen Sie oft, Sie werden sich hier wohlfühlen. Nicht wahr, Sie
werden kommen?«
»Ja, natürlich, wenn Sie so lieb darum bitten …«
»Ja? Wirklich? Wissen Sie, was? Meine Cousine bekommt bald ein Kind. Sie hat schon immer gewünscht, einen ausländischen Paten
für das Kleine zu haben, das ist so was Vornehmes. Könnten Sie nicht der Pate des bambino sein?«
»Doch, sehr gern.«
»Versprechen Sie es.«
»Ich verspreche es.«
János war doch ein taktvoller Schurke. Die ganze Zeit erwähnte er die »geschäftlichen Angelegenheiten« nicht. Erst als es
schon spät war und Mihály
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