Reise in die arabische Haut
Meeresfrüchte liegen aufgebahrt auf dem Verkaufstisch und in offenen Holzkisten auf dem Steinboden. Es duftet nach Ozean, es stinkt nach Fisch. Der Geruch verursacht mir Übelkeit. Ich halte mir die Nase zu. Mein Liebster betatscht die Fischleichen, als wären es Zierkürbisse. Das muss man ihm lassen: Gute Nerven besitzt mein Nervenarzt. Alle Achtung.
Instinktiv wende ich mich ab, weil ich auf dem schnellsten Weg nach draußen flüchten will. Im gleichen Moment stolpere ich über einen Stein. Mein Gehirn schaltet sich aus und erst wieder ein, als ich in das Auge eines Seebarsches blicke.
Eklig, ich würge meinen tunesischen Snack heraus. Rotes unverdautes Harissa tropft auf den leblosen Fisch. Hoffentlich war er schon vor meinem Sturz tot. Nicht, dass es später heißt, ich hätte ihn mit meinem Gewicht ermordet.
Khalid reicht mir seine Hand, hilft mir beim Aufrichten und klopft mich ab. Alle Knochen klappern im vollwertigen Zustand. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass der Fischhändler die Flosse des Seebarsches ergreift. Er schwenkt das Tier auf Brusthöhe und gießt Wasser über die Fischleiche.
»Seit wann werden tote Fische getauft?«, frage ich kopfschüttelnd.
»Wiedergeburt«, lacht Khalid.
»Voilà«, schreit der Fischer in die Runde.
Verschleierte Frauen und Araber mit cremeweißen Häkelkäppis versammeln sich vor der Fischtheke.
Der Händler schwenkt den toten Fisch in die Höhe. So lange, bis sich eine ältere Tunesierin erbarmt und ihn gnädig für fünf Dinar freikauft.
Hoffentlich isst sie die Fischhaut nicht mit. Da klebt noch etwas Kotze dran.
»Wir gehen jetzt zurück zum Soccorisha. Dort wartet das Abendessen auf uns«, beschließt Khalid.
Für heute habe ich genug Stadtleben gesehen. Es fällt mir nicht schwer, den Heimweg anzutreten.
Unser ehemals defektes Bett leuchtet in orientalisch anmutender Bettwäsche. Das Badezimmer duftet kühl desinfiziert. Die schneeweiße Wanne blitzt. Die Aluminiumarmaturen weisen weniger Kalkspuren auf. Ob da Enzymax am Werk war?
Der nervige Technosound ist mittlerweile verstummt. Ruhe ist eingekehrt. Momentan wirkt Tunesien wie frisch aus dem Ei gepellt. In diesem Zustand gefällt mir Afrika. Hier bleibe ich.
Wir suchen die Kantine auf, die seitwärts vom Hotelempfang nachträglich angebaut wurde. Die Restauranthalle, bestuhlt mit runden Holztischen und bequemen, rot gepolsterten Stühlen, gibt durch die breiten Panoramafenster einen Blick auf den Innenhof frei. Russische Bälger belagern den Swimmingpool und entfremden die hässlichen Liegeauflagen aus Plastik als Wassergleiter für die geschwungene Rutsche.
Auf der rechten Seite ist ein reichhaltiges Büfett aufgebaut. Bei diesem Anblick ist meine Übelkeit wie weggeblasen. Die bunten Rohkostsalate, das dampfende Couscous, unterschiedliche Pastagerichte, verschiedene Gemüse, Antipasti und Lammfleisch mit Oliven runden das Bild von einer gut geführten, orientalischen Küche ab. Schweinefleisch wird aufgrund des Korans nicht angeboten.
Am abgeteilten Ende des Büffets offenbart sich für mich der interessantere Aspekt. Orangen, Mandarinen und Datteln sprengen den Tisch. Inmitten des Obstes steht eine Glasschale mit Vanillekrokantpudding. Auf ein Silbertablett mit verzierten Petits Fours folgt eine Tortenplatte mit einer voluminösen Schoko-Kokos-Torte, die meinen Appetit auf sich zieht.
Tunesien gefällt mir von Sekunde zu Sekunde besser.
Heute ist mein erster Flitterwochenabend nach entbehrungsreichem Alltag. Als Belohnung labe ich mich an den süßen, köstlichen Genüssen des Orients. Ich häufe die kleinen, cremigen Törtchen zu einem schiefen Turm von Pisa auf meiner flachen Platte.
Khalid kommt mit einem beladenen Essteller an unseren Tisch geschlurft. Die kross gebratenen Fleischstücke duften verführerisch.
Heute ist unser Tag. Bisher sind wir nicht mit solcher Vielfalt an Köstlichkeiten überschüttet worden.
Stumm und schmatzend futtern wir die appetitlichen Happen, als mein Blick auf den schwarzweiß gekleideten Kellner fällt. Er starrt abgeneigt auf unsere Lebensmittelauswahl. Sah er noch nie verhungerte Deutschländer?
Womöglich ist er ein Undercover-Bezzi, der nach Opfern Ausschau hält.
Ich ertappe mich dabei, dass ich genauso denke wie die Damen von Inshalla. Emphatisch verbiete ich mir ab sofort allerlei Gedankenkruppzeug. Warum verschließe ich die Augen?
Khalid springt auf und holt sich ein dunkelgebräuntes, dampfendes Fladenbrot vom Grill.
»Hier probier bitte.
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