Reise in die arabische Haut
über die Autobahn zu seiner Arbeitsstelle in das Rhein-Main-Gebiet.
Unser Altersunterschied beträgt sechzehn Jahre, zu viel für Leute, die gewisse Schranken in ihren Köpfen haben. Sie vergessen, dass Liebe nicht nach dem Alter fragt. Echte Liebe findet dort statt, wo sie gelebt wird. Und unsere Herzensflamme glimmt ständig, sie lässt alle sichtbaren Unterschiede außer Acht. Unser Spruch Denn wenn sich Herz zu Herz gesellt, wird alles auf den Kopf gestellt trifft ins Schwarze.
»Du sollst nicht Jesus danken, Olivia. Jesus ist nicht Gott. Jesus ist ein Prophet.« Khalid reicht mir seinen Koran herüber.
Ich bin evangelisch und schwöre auf Jesus Christus. Khalid ist Moslem und glaubt an Allah. Aber im Endeffekt lieben wir beide dasselbe. Der Geist, der über uns wacht. Die göttliche Macht, die wir anbeten können, von der wir Trost bekommen und die uns in schweren Zeiten unterstützt: Allah-Gott, welcher uns in die Welt warf und welcher uns am Ende daraus befreit.
Fortan taufe ich Jesus auf den Namen Allah. Damit leben wir einvernehmlich und niemand zürnt dem anderen.
Khalid kräuselt abgespannt seine Stirn. »Mist. Mein Koffer hat problematisches Übergewicht.«
»Nicht nur dein Koffer, Habibi. Dein Bäuchlein mittlerweile auch.« Grinsend ziehe ich den Reißverschluss meines schwarzen Trolleys zu. Perfekt. Mein Trolley wiegt gerademal siebzehn Kilogramm, während Khalids Koffer neunundzwanzig Kilogramm aufweist.
Khalid verflucht die vielen Mitbringsel für seine Familie. Er öffnet beide Gepäckstücke sowie den Tramperrucksack und das Bordcase, um die Kleidung und die Präsente umzupacken. Genervt hocke ich mich vor den Fernseher und schaue Richter Alexander Hold. Es geht um ein Familiendrama, in dem eine wütende Frau ihren Ehemann erdrosselt hat. Ursache war ihr Reisegepäck, das vom Opfer zu schwer beladen wurde, sodass der Reißverschluss geplatzt ist.
Ich kann sie verstehen, auch meine Hände kribbeln.
Zwei Stunden später sind die Geschenke sowie die Kleidung tausendmal umgeschichtet. Mit dem Resultat, dass jedes Gepäckstück zwei bis drei Kilogramm zu viel anzeigt und Khalid fix und foxi ist.
Früh um sechs Uhr fliegt unsere Boeing. Wir müssen zwei Stunden vorher auf dem Flughafen sein, um termingerecht einzuchecken.
Und um unser Übergepäck zu bezahlen, denke ich und kuschel mich an Khalids beharrter Brust.
»Gute Nacht, Habibti.« Khalid küsst mich kurz auf den Mund und ratzt im selben Moment ein.
Während mich sein leises Schnarchen und sein sporadisch ausgerufenes Inshallah begleiten, träume ich von dem fernen, exotischen Kontinent.
Ich besuchte bis dato kein Afrika, ich bereiste bisher nicht den Erdball. Ich kauerte fortlaufend in trostlosen, dunklen Gemächern, weinte viel und wartete auf den gnädigen Tod. Zum passenden Zeitpunkt erschien mein Tunesier, seitdem zeigt mir die Welt ihr buntes Gesicht. Erstmalig werde ich zeitnah unseren blauen Planeten aus einer anderen Perspektive sehen. Bald lerne ich die umfangreiche Familie von Khalid kennen, die ich bisher nur auf Fotos gesehen habe. Wen wundert es da, dass ich nicht schlafen kann?
Um Mitternacht bin ich für den großen Flug gestylt. Um meine freie Zeit auszuschöpfen, lackiere ich mir aus lauter Nervosität meine Fingernägel emanzenlila.
Khalid erwacht um drei, zieht sich geschwind an und lässt Kaffee aus unserer Senseo in einen Pappbecher rinnen. Derweil schickt er mich mit den Koffern hinaus in die Kälte. Anfang März, noch tiefster Winter. Die Straße ist schneebedeckt, der Atem gefriert vor dem Mund. Ohne Handschuhe erstarren die Finger. Allah sei Dank, ich bin mit meinem neuen, orangefarbenen Anorak, dem erdbraunen Schal und den schwarzen Fellhandschuhen für eisige Witterungen ausgerüstet. Aufgewühlt vergesse ich, dass wir in ein Sonnenland fliegen.
Mein aufmerksamer Ausländer dreht den Haupthahn zu und kappt alle Sicherungen, sodass uns kein Super-GAU aus den Flitterwochen zurückholen kann.
Innerhalb von fünf Minuten hält das bestellte Taxi vor meinen Füßen. Die Safari beginnt …
Flughafen Frankfurt
Der Frankfurter Flughafen weist zu früher Stunde eine lebhafte Geschäftsmäßigkeit auf. Die Check-in-Schalter öffnen ihre Tore. Aus den Konditorständen lockt morgendlicher Kaffeeduft. Passanten verschiedener Nationalitäten tummeln sich in der grellbeleuchteten Halle. Polizisten, ausgestattet mit schusssicheren Westen und halbverborgenen Pistolengürteln, laufen Patrouille. Spannend. Die
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