Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
vor Anker lagen, zeichneten sich in einer verschwommenen Dunkelheit ab. Der Dampfer fuhr am felsigen Fuß eines hohen Hügels entlang, unter dem pfeifend der Zug nach Paris dahinbrauste; plötzlich wurde klirrend eine Kette entrollt, ein jäher Ruck ließ das Schiff stillstehen, der Dampf entwich aus dem Heizkessel, und die letzten Wassertropfen rannen über die müden Schaufelräder. Der
Comte d’Erlon
hatte soeben seinen Anker ausgeworfen.
»Wir sind angekommen«, rief Jacques.
»Angekommen!« antwortete jemand. »Aber wo ist Bordeaux?«
»Wir sind in Lormont«, sagte der Kapitän seelenruhig, »eine Meile unterhalb von Bordeaux. Wir können erst morgen früh am Quai anlegen!«
»Tod und Teufel!« riefen die Passagiere und trotteten zu ihren Schmerzenslagern zurück.
Da schließlich alles ein Ende nehmen muß, selbst eine Fahrt von Nantes nach Bordeaux, lag das Schiff am nächsten Tag vertäut vor dem Zollhaus, und nachdem die beiden Freunde ihre Seekoffer einem der lautesten Gepäckträger anvertraut hatten, steuerten sie auf das Hôtel de Nantes zu, das am Hafen steht.
Sie hatten sechzig Stunden auf dem
Comte d’Erlon
verbracht und befanden sich nun fünfhundert Kilometer südlich von Paris.
»Hübscher Anfang für eine Reise in den Norden!« sagte Jonathan.
Es ist leicht zu erraten, welche Sorge Jacques einzig und allein beschäftigte, als sie von Lormont aus die Garonne hochfuhren. Mit den Augen verschlang er die unzähligen Schiffe, die in der Flußmitte ankerten: Die
Hamburg
mußte unter ihnen sein! Hoffentlich war sie nicht während dieser verfluchten Reise ausgelaufen! Was für eine Enttäuschung, wenn sie auf einmal mit Volldampf in Richtung Liverpool an ihnen vorübergezogen wäre, während der
Comte d’Erlon
mühsam die Gironde hochkeuchte!
Sobald das Gepäck im Hotel abgestellt war, kehrte Jacques, mit seinem treuen Gefährten im Schlepptau, zum Hafen zurück. Sie wandten sich an einen Zöllner und fragten ihn nach den Ankünften und Abfahrten der letzten Tage. Der Beamte, ein überaus freundlicher Mensch, erteilte ihnen umfassend Auskunft: Die
Hamburg
stand nicht auf der Liste der ein-oder ausgelaufenen Schiffe!
»Jetzt fehlt uns nur noch eins«, sagte Jacques zitternd.
»Was denn, bitte schön?«
»Daß die
Hamburg
sich entschlossen hat, ihre Fracht in Saint-Nazaire an Bord zu nehmen, jetzt, wo wir in Bordeaux sitzen!«
»Das wäre ja grauenhaft! Aber wir werden schon herausfinden, woran wir sind: Laß uns zunächst zu einem rechtschaffenen Bürger dieser Stadt gehen, der ein Freund von mir ist, und anschließend werden wir Mister Daunts Geschäftspartner unsere Aufwartung machen, er wird uns über die Lage ins Bild setzen.«
Nach so trefflichen Worten bleibt einem nur noch, auch trefflich zu handeln!
Aus diesem Grund marschierten Jacques Lavaret und Jonathan Savournon, nachdem sie sich den Weg hatten erklären lassen, Arm in Arm zur Rue Cornac.
Achtes Kapitel
Betrachtungen über den Wein aus Bordeaux
Es war an einem schönen Freitagmorgen. Jonathans Freund schlief noch, von einer schrecklichen Migräne geschwächt, die ihn tags zuvor übermannt hatte, als er unermüdlich nach dem
Comte d’Erlon
Ausschau hielt. Nichtsdestoweniger stand er auf, und Jonathan machte Jacques mit Edmond R. bekannt, einem Händler; es erübrigt sich zu sagen, welche Art von Handel er betrieb; Anwälte, Notare, Börsenmakler, Rentiers, Staatsbeamte, Pförtner oder Journalisten, alle Welt verkauft in Bordeaux Wein; jeder hat seinen mehr oder weniger gut bestückten kleinen Weinkeller und widmet sich so nebenbei diesem angenehmen Geschäft.
Edmond R. war ein echtes Kind der Garonne mit seinem schwarzgelockten Haar, seinem eigenwilligen und klugen Kopf, nie verlegen, unternehmungslustig und waghalsig, verstand sich darauf, alles zu machen oder auch alles zu sagen, und – um seine Personenbeschreibung zu vervollständigen – er schrieb mit der linken Hand. Er empfing die zwei Freunde mit großen Freudenbekundungen, und es war ihm ein Vergnügen, sie durch die Stadt zu lotsen. Doch zuvor mußte gegessen werden, endlich konnte man sich an einen ordentlich gedeckten Tisch setzen und wirklich echte
Royans
essen.
Edmond R. hatte seinem Kellermeister ein Zeichen gegeben, und erlesene Flaschen, die mit der berückenden Flüssigkeit gefüllt waren, reckten auf dem Tisch ihre schlanken Hälse in die Luft.
Man darf nicht glauben, daß in Bordeaux der Wein ganz selbstverständlich getrunken wird; diese wichtige
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