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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mich mit gekreuzten Beinen hinsetzen und intensiv die Stelle ansehen, die er mir gezeigt hatte.
    Es war ein heißer Tag, das Sonnenlicht prallte auf die verfestigte Lava. Ich behielt jene Stelle scharf im Auge. Nach einer langen Weile wachsamen Aufpassens fragte ich ihn, wonach ich im einzelnen ausschauen sollte. Er unterbrach mich mit einer ungeduldigen Handbewegung.
    Ich wollte schlafen. Ich schloß halbwegs die Augen. Sie juckten, und ich rieb sie, aber meine Hände waren feuchtkalt, und der Schweiß brannte mir in den Augen. Ich blickte durch die halb geschlossenen Augenlider auf die Lavagipfel, und plötzlich stand der ganze Berg in Flammen.
    Ich berichtete Don Juan, daß ich, wenn ich die Augen zusammenkniff, die ganze Bergkette als komplexes Gebilde aus Lichtfasern sehen konnte. Er sagte, ich solle möglichst flach atmen, um das Bild der Lichtfasern zu erhalten, und ich solle es nicht intensiv anstarren, sondern wie von ungefähr auf eine Stelle am Horizont, direkt über dem Hang schauen. Ich befolgte seinen Rat und konnte nun das Bild eines unendlichen, mit einem Gewebe aus Licht überzogenen Raumes wahrnehmen.
    Don Juan sagte mit sehr behutsamer Stimme, ich solle versuchen, dunkle Stellen innerhalb dieses Feldes von Lichtfasern zu unterscheiden, und sobald ich eine dunkle Stelle gefunden hätte, sollte ich die Augen öffnen und feststellen, ob sich diese Stelle an der Hangflanke befände.
    Es war mir unmöglich, irgendwelche dunklen Stellen zu entdecken. Mehrmals kniff ich die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Don Juan rückte näher zu mir her und deutete auf eine rechts von mir gelegene Stelle, und dann auf eine andere, die sich direkt vor mir befand. Ich versuchte meine Körperhaltung zu verändern; wenn ich meinen Blickwinkel wechselte, so glaubte ich, würde ich vielleicht imstande sein, den angeblichen dunklen Fleck zu erkennen, den er mir zeigte, aber Don Juan schüttelte meinen Arm und befahl mir mit ernster Stimme, ruhig zu bleiben und Geduld zu haben.
    Wieder kniff ich die Augen zusammen und sah abermals das Netz aus Lichtfasern. Ich sah es einen Augenblick an und öffnete dann die Augen wieder. In diesem Moment hörte ich ein schwaches Grollen - es mochte sich ohne weiteres als das ferne Geräusch eines Düsenflugzeugs erklären lassen -, und dann sah ich mit weit geöffneten Augen die ganze Bergkette vor mir als ein gewaltiges Feld winziger Lichttupfer. Es war, als ob für einen kurzen Moment irgendwelche Metallkörperchen in der verfestigten Lava alle auf einmal das Sonnenlicht reflektierten. Dann verblaßte das Sonnenlicht und erlosch plötzlich ganz. Die Berge wurden zu einer stumpfen dunkelbraunen Feldmasse, und gleichzeitig wurde es windig und kalt. Ich drehte mich um, um festzustellen, ob die Sonne hinter einer Wolke verschwunden sei, aber Don Juan hielt meinen Kopf fest und ließ nicht zu, daß ich mich bewegte. Wenn ich mich umdrehte, sagte er, würde ich womöglich eines der Wesen der Berge sehen, den Verbündeten, der uns verfolgte. Er beteuerte, ich hätte nicht genügend Kraft, um einen solchen Anblick auszuhalten, und fügte mit kalkulierter Betonung hinzu, das Grollen, das ich gehört hatte, sei die besondere Art eines Verbündeten, seine Gegenwart anzukündigen.
    Dann stand er auf und erklärte, wir würden nun die Flanke des Hanges hinaufklettern. »Wohin gehen wir?« fragte ich.
    Er deutete auf eine der Stellen, die er als Flecken der Dunkelheit ausgemacht hatte. Das »Nicht-tun«, erklärte er, habe ihm erlaubt, diesen Fleck als mögliches Zentrum der Kraft oder als einen Ort  auszuwählen, an dem sich vielleicht Kraft-Objekte befänden. Nach einer beschwerlichen Kletterei erreichten wir die von ihm bezeichnete Stelle. Einen Augenblick stand er reglos ein paar Meter vor mir. Ich versuchte, näher an ihn heranzutreten, aber er bedeutete mir durch eine Handbewegung, stehenzubleiben. Offenbar versuchte er sich zu orientieren. Ich sah von hinten, wie sein Kopf sich bewegte, als ließe er den Blick über den Berg auf und ab gleiten, dann führte er mich mit sicheren Schritten zu einem Felsband. Er setzte sich und fegte mit der Hand etwas lockere Erde vom Sims. Er hob mit den Fingern die Erde rund um einen herausragenden kleinen Stein aus. Dann forderte er mich auf, diesen ganz auszugraben.
    Nachdem ich das Gesteinsstück losgemacht hatte, befahl er mir, es sofort unter das Hemd zu stecken, denn es sei ein Kraft-Objekt, das mir gehöre. Er sagte, er schenke es mir, ich solle es

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