Reise nach Ixtlan.
erreicht hatten, legte ich mich hin. Ich war nahe daran, mich zu übergeben. Er rollte mich mit dem Fuß hin und her, wie er es früher schon einmal getan hatte. Allmählich kam ich durch diese Bewegung wieder ins Gleichgewicht. Aber ich war nervös. Mir war, als wartete ich irgendwie auf irgendeine plötzliche Erscheinung. Unwillkürlich sah ich mich mehrmals nach beiden Seiten um. Don Juan sagte kein Wort, blickte aber ebenfalls jeweils in die Richtung, in die ich schaute. »Schatten sind etwas Eigenartiges«, sagte er plötzlich. »Du hast wohl bemerkt, daß uns einer folgt.«
»Ich habe nichts dergleichen bemerkt«, protestierte ich laut. Don Juan sagte, mein Körper habe trotz meines hartnäckigen Leugnens den Verfolger bemerkt, und er redete mir zu, es sei nichts Besonderes, von einem Schatten verfolgt zu werden. »Es ist nur eine Kraft«, sagte er. »In diesen Bergen wimmelt es von Kräften. Es ist nur so etwas wie eines jener Wesen, das dich damals in der Nacht erschreckte.« Ich wollte wissen, ob ich es auch selbst wahrnehmen könne. Er erklärte, daß man tagsüber seine Gegenwart nur fühlen könne. Ich verlangte eine Erklärung, warum er es einen Schatten nannte, wo es doch offenbar nicht dasselbe war wie etwa der Schatten eines Felsens. Er entgegnete, beide hätten dieselben Linien, daher seien beide Schatten.
Er deutete auf einen hohen Felsblock, der direkt vor uns lag. »Sieh dir den Schatten dieses Felsens an«, sagte er. »Der Schatten ist der Felsen, und doch ist er es nicht. Wenn man den Felsen ansieht, um zu wissen, was der Felsen ist, so ist das Tun. Aber wenn man seinen Schatten ansieht, so ist das Nicht-tun. Schatten sind wie Türen, die Türen zum Nicht-tun. Ein Wissender zum Beispiel kann die innersten Gefühle der Menschen erkennen, indem er ihre Schatten beobachtet.«
»Gibt es in den Schatten eine Bewegung?« fragte ich. »Man könnte sagen, daß es Bewegung in ihnen gibt, oder man könnte sagen, daß sich in ihnen die Linien der Welt zeigen, oder man könnte sagen, daß Gefühle von ihnen ausgehen.«
»Aber wie können Gefühle von Schatten ausgehen, Don Juan?«
»Wenn man glaubt, daß Schatten nichts als Schatten sind, so ist das Tun«, erklärte er. »Dieser Glaube ist töricht. Stell es dir folgendermaßen vor: Mit allen Dingen der Welt hat es so viel mehr auf sich, daß es auch mit den Schatten mehr auf sich haben muß. Was sie zu Schatten macht, ist ja lediglich unser Tun.« Ein langes Schweigen folgte. Ich wußte nichts mehr zu sagen. »Das Ende des Tages ist nah«, sagte Don Juan und blickte zum Himmel auf. »Du mußt dieses strahlende Sonnenlicht benutzen, um eine letzte Übung auszuführen.«.
Er geleitete mich zu einer Stelle, wo zwei mannshohe Felszacken in etwa zwei bis drei Metern Abstand parallel nebeneinander standen. Don Juan blieb, das Gesicht nach Westen gewandt, fünf Meter vor ihnen stehen. Er zeigte mir, wohin ich mich stellen sollte, und befahl mir, die Schatten der Felszacken anzusehen. Er sagte, ich solle sie beobachten und genauso mit den Augen schielen, wie ich es üblicherweise machte, wenn ich den Boden nach einem geeigneten Rastplatz absuchte. Er erläuterte seine Anweisungen: Wenn man nach einem Rastplatz suche, dann müsse man schauen, ohne den Blick auf eine bestimmte Stelle zu fixieren, doch wenn man Schatten beobachte, dann müsse man mit den Augen schielen und die Augen dennoch auf ein scharfes Bild einstellen. Es komme darauf an, durch das Schielen die beiden Schatten zu überlagern. Dadurch lasse sich ein bestimmtes, von den Schatten ausgehendes Gefühl wahrnehmen. Ich machte eine Bemerkung darüber, wie vage er sich ausdrückte, doch er behauptete, es sei wirklich nicht möglich, mit Worten zu schildern, worum es ihm ging. Mein Versuch, diese Übung auszuführen, schlug fehl. Ich strengte mich an, bis ich Kopfschmerzen bekam. Don Juan kümmerte sich nicht weiter um mein Versagen. Er kletterte auf einen kuppelförmigen Felsen und schrie mir von dort oben zu, ich solle zwei ähnlich aussehende, schmale, kleine Steine suchen. Die gewünschte Größe gab er mir mit den Händen an. Ich fand zwei solche Stücke und reichte sie ihm. Don Juan plazierte die beiden Steine in etwa dreißig Zentimeter Abstand in Felsritzen, wies mich an, mich mit nach Westen gewandtem Gesicht über sie zu stellen, und forderte mich auf, mit Hilfe ihrer Schatten dieselbe Übung noch einmal zu versuchen.
Diesmal war es etwas ganz anderes. Es gelang mir sofort, so zu schielen,
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