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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hatte ich eine unangenehme Empfindung. Das Gefühl schien sich auf meinen Magen zu beschränken und wurde akuter, wenn ich mich der betreffenden Stelle zuwandte. Sie war mir widerwärtig, und ich spürte einen Zwang, mich zu entfernen. Ich begann, die Gegend mit schielenden Augen abzusuchen, und nach ein paar Schritten kam ich zu einem großen, flachen Stein. Ich blieb vor ihm stehen. An dem Stein gab es nichts Besonderes, was mich hätte anziehen können. Ich konnte keine besondere Färbung oder irgendeinen Glanz an ihm feststellen, und doch mochte ich ihn. Mein Körper fühlte sich wohl. Ich empfand körperliches Wohlbehagen und setzte mich für eine Weile. Den ganzen Tag wanderte ich auf dem Hochplateau und den angrenzenden Hügeln umher, ohne zu wissen, was ich tun oder erwarten sollte. In der Dämmerung kehrte ich zu dem flachen Stein zurück. Wenn ich dort die Nacht verbrächte, das wußte ich, dann wäre ich sicher.
    Am nächsten Tag wagte ich mich weiter nach Osten in die hohen Berge. Gegen Spätnachmittag kam ich zu einem anderen, noch höheren Plateau. Ich glaubte, schon einmal hier gewesen zu sein. Ich sah mich um, um mich zu orientieren, aber ich erkannte keinen der angrenzenden Gipfel wieder. Nachdem ich sorgfältig einen geeigneten Platz ausgewählt hatte, setzte ich mich, um am Rande einer öden, felsigen Fläche zu rasten. Dort hatte ich eine warme, friedvolle Empfindung. Ich wollte etwas Nahrung aus meiner Kalebasse nehmen, aber sie war leer. Ich trank etwas Wasser. Es war warm und schal. Ich meinte nichts anderes tun zu können, als zu Don Juan zurückzukehren, und überlegte, ob ich mich gleich auf den Rückweg machen sollte oder nicht. Ich legte mich auf den Bauch und stützte den Kopf auf den Arm. Ich fand es unbequem und wechselte mehrmals die Stellung, bis ich schließlich nach Westen blickte. Die Sonne stand schon niedrig. Meine Augen waren müde. Ich schaute zu Boden und entdeckte einen großen schwarzen Käfer. Er kam hinter einem kleinen Stein hervor und schleppte einen Dungballen, der doppelt so groß war wie er selbst. Lange verfolgte ich seine Bewegungen. Der Käfer schien sich um meine Anwesenheit nicht zu kümmern und schob seine Last über Steine, Wurzeln, Bodenvertiefungen und -erhöhungen. Soviel ich wußte, war der Käfer meiner Gegenwart nicht gewahr. Dann kam mir der Gedanke, ich könne keinesfalls sicher sein, daß mich der Käfer nicht wahrnahm. Dies löste bei mir eine Kette rationaler Überlegungen in bezug auf die Natur der Welt des Käfers im Gegensatz zu der meinen aus. Der Käfer und ich befanden uns in derselben Welt, und offensichtlich war die Welt für uns beide nicht dieselbe. Ich wurde ganz davon in Anspruch genommen, ihn zu beobachten, und bewunderte die gewaltige Kraft, die er einsetzte, um seine Last über Steine und Ritzen zu schleppen.
    Ich beobachtete den Käfer lange Zeit, und dann wurde mir die Stille um mich her bewußt. Nur der Wind raschelte in den Zweigen und Blättern des Chaparral. Ich blickte auf und wandte mich schnell und unwillkürlich nach links - da entdeckte ich auf einem ein paar Meter entfernten Stein einen schwachen Schatten oder ein Flimmern. Zuerst achtete ich nicht weiter darauf, aber dann wurde mir klar, daß das Flimmern sich links von mir befunden hatte. Ich wandte mich wieder um und konnte nun ganz deutlich den Schatten auf dem Stein wahrnehmen. Ich hatte das komische Gefühl, daß der Schatten augenblicklich zu Boden glitt und von der Erde aufgesaugt wurde, wie Tinte von einem Löschblatt. Ein Frösteln lief mir über den Rücken: Mir kam der Gedanke in den Sinn, den Käfer und mich beobachtete der Tod. Ich schaute wieder nach dem Käfer, konnte ihn aber nicht finden. Er mußte wohl sein Ziel erreicht und seine Last in ein Loch im Boden verstaut haben. Ich bettete mein Gesicht auf den glatten Stein. Der Käfer kam aus einem tiefen Loch zum Vorschein und blieb ein paar Zentimeter vor meinem Gesicht stehen. Er schien mich anzuschauen, und einen Augenblick meinte ich, er sei meiner Anwesenheit gewahr, vielleicht so, wie ich der Anwesenheit des Todes gewahr geworden war. Ich zitterte. Der Käfer und ich waren gar nicht so verschieden. Der Tod lauerte uns als Schatten hinter dem Felsen auf. Ich geriet für einen Augenblick in eine ungewöhnlich gehobene Stimmung. Der Käfer und ich standen auf gleicher Stufe. Keiner von uns war besser als der andere. Unser Tod machte uns gleich.
    Meine gehobene Stimmung und meine Freude waren so

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