Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
überwältigend, daß ich weinte. Don Juan hatte recht. Er hatte immer recht gehabt. Ich lebte in einer höchst geheimnisvollen Welt, und wie jeder andere war ich ein höchst geheimnisvolles Wesen, und doch war ich nicht wichtiger als ein Käfer. Ich rieb mir die Augen, und während ich mit dem Handrücken über sie strich, sah ich einen Mann oder etwas, das die Figur eines Mannes hatte. Es befand sich etwa fünfzig Meter entfernt zu meiner Rechten. bh setzte mich auf und sah angestrengt hin. Die Sonne war fast am Horizont, und ihre gelbliche Glut hinderte mich, deutlich zu sehen. In diesem Augenblick hörte ich ein eigenartiges Grollen. Es war wie das Geräusch eines entfernt fliegenden Düsenflugzeugs. Als ich aufmerksam lauschte, steigerte sich das Grollen zu einem anhaltenden, scharfen, metallischen Pfeifen, dann wurde es leiser, bis es nur noch ein faszinierender, melodiöser Klang war. Die Melodie war wie die Vibration in elektrischen Leitungen. Das Bild, das mir in den Kopf kam, war das zweier elektrischer, sich überlagernder Felder oder zweier quadratischer Blöcke magnetisierten Metalls, die gegeneinander gerieben wurden und dann mit einem dumpfen Schlag aneinander stießen. Ich strengte meine Augen an, um die Person auszumachen, die sich anscheinend vor mir versteckte, aber ich konnte nur einen dunklen Umriß vor dem Gebüsch sehen. Ich schirmte meine Augen mit den Händen ab. In diesem Augenblick veränderte sich der Glanz des Sonnenlichts, und ich erkannte, daß das, was ich gesehen hatte, nur ein optisches Trugbild, ein Spiel der Schatten auf dem Laub gewesen war.
    Ich wandte die Augen ab und sah einen Coyoten, der ruhig über das Feld trabte. Der Coyote befand sich etwa an der Stelle, wo ich den Mann zu sehen geglaubt hatte. Er lief etwa fünfzig Meter nach Süden, dann blieb er stehen, drehte sich um und lief auf mich zu. Ich schrie ein paarmal, um ihn zu verscheuchen, aber er kam immer näher. Einen Augenblick bekam ich Angst. Vielleicht hatte er Tollwut, dachte ich, und ich erwog sogar, Steine aufzuheben, um mich zu verteidigen, falls er mich angreifen sollte. Als das Tier drei bis fünf Meter entfernt war, bemerkte ich, daß es keineswegs erregt war. Im Gegenteil, es schien ruhig und furchtlos zu sein. Er verlangsamte seinen Schritt und blieb knapp ein oder zwei Meter vor mir stehen. Wir sahen einander an, dann kam der Coyote noch näher. Seine braunen Augen waren freundlich und klar. Ich setzte mich auf einen Stein, und der Coyote stand so nah, daß er mich fast berührte. Ich war verblüfft. Nie hatte ich einen wilden Coyoten aus solcher Nähe gesehen, und mir fiel in diesem Moment nichts anderes ein, als mit ihm zu sprechen. Ich tat es, wie man zu einem zutraulichen Hund spricht. Und dann meinte ich zu hören, wie der Coyote zu mir »sprach«. Ich war absolut sicher, daß er etwas gesagt hatte. Ich war verwirrt, aber ich hatte nicht die Zeit, über meine Gefühle nachzudenken, denn der Coyote »sprach« abermals. Es war nicht so, als hätte das Tier Worte ausgesprochen, so wie ich gewöhnt war, Menschen in Worten sprechen zu hören, sondern es war eher ein Gefühl, als spräche er. Dieses Gefühl entsprach aber auch nicht dem, das man hat, wenn zum Beispiel Herr und Hund einen stummen Dialog zu führen scheinen. Der Coyote sagte wirklich etwas; er übermittelte einen Gedanken, und diese Mitteilung erreichte mich in einer Form, die einem Satz sehr ähnlich war. Ich sagte: »Wie geht es dir, kleiner Coyote«, und meinte das Tier antworten zu hören: »Sehr gut, und dir?« Dann wiederholte der Coyote diesen Satz, und ich sprang auf. Das Tier machte nicht die geringste Bewegung. Es erschrak nicht einmal über mein plötzliches Aufspringen. Seine Augen waren immer noch freundlich und klar. Es legte sich auf den Bauch, neigte den Kopf und fragte: »Warum fürchtest du dich?« Ich setzte mich ihm gegenüber und setzte das Gespräch fort, das unheimlichste, das ich je geführt hatte. Schließlich fragte er mich, was ich hier täte, und ich sagte, ich sei gekommen, um die »Welt anzuhalten«. Der Coyote sagte: »Quebueno« wie gut, und ich erkannte, daß es ein zweisprachiger Coyote war. Die Haupt- und Zeitwörter seiner Sätze waren englisch, aber die Bindewörter und Ausrufe waren spanisch. Ich dachte, vielleicht hatte ich einen Chicano-Coyoten vor mir. Ich fing an, über die Absurdität der Situation zu lachen, und ich lachte so sehr, daß ich fast hysterisch wurde. Dann kam mir das Unmögliche meiner

Weitere Kostenlose Bücher