Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
senkrechte Wand, auf die runde Fläche zu. Langsam arbeiteten wir uns den gefährlichen Pfad hinab, und als wir unten ankamen, führte Don Juan mich ohne Verweilen durch den dichten Chaparral zur Mitte des Kreises. Er benutzte ein paar dichte, trockene Zweige, um für uns eine Stelle zum Niedersitzen sauberzufegen. Auch diese Stelle war kreisrund. »Ich hatte vor, dich über Nacht hier zu begraben«, sagte er, »aber ich weiß, daß es noch nicht Zeit dafür ist. Du hast keine Kraft. Ich werde dich nur kurze Zeit begraben.« Ich wurde bei dem Gedanken, eingeschlossen zu sein, sehr unruhig und fragte ihn, wie er mich begraben wolle. Er kicherte wie ein Kind und begann trockene Zweige zusammenzusuchen. Er ließ sich nicht von mir helfen und sagte, ich solle mich setzen und warten. Die Zweige, die er zusammensuchte, warf er in den gesäuberten Kreis. Er ließ mich, mit dem Kopf nach Osten, niederliegen und baute einen Käfig um meinen Körper herum. Diesen fügte er zusammen, indem er etwa siebzig Zentimeter lange Stöcke in die weiche Erde steckte; diese Äste, die in Gabeln ausliefen, dienten als Stützen für einige lange Stöcke, die dem Käfig einen Rahmen und das Aussehen eines offenen Sarges gaben. Er bedeckte den kastenartigen Käfig, indem er kleinere Zweige und Blätter über die langen Äste breitete, wobei er mich von den Schultern abwärts zudeckte. Meinen Kopf, der auf meiner Jacke wie auf einem Kissen ruhte, ließ er frei.
    Dann nahm er ein großes trockenes Holzscheit, mit dem er die Erde um mich lockerte und bedeckte damit den Käfig. Der Rahmen war so fest und die Blätter so gut angeordnet, daß keine Erde nach innen fiel. Ich konnte die Füße frei bewegen und sogar hinein und hinaus schlüpfen.
    Ein Krieger, sagte Don Juan, baue den Käfig normalerweise selbst und schlüpfte dann hinein, um ihn von innen zu verschließen. »Und die Tiere?« fragte ich. »Können sie die Erddecke fortkratzen und in den Käfig schlüpfen und den Mann verletzen?«
»Nein, darum sorgt ein Krieger sich nicht. Du sorgst dich darum, weil du keine Kraft hast. Ein Krieger hingegen wird von seiner unbeugsamen Absicht geleitet und kann alles abwehren. Keine Ratte, keine Schlange und kein Berglöwe könnten ihm etwas anhaben.«
    »Wozu begraben die Krieger sich, Don Juan?«
»Wegen der Erleuchtung und der Kraft.«
    Ich hatte ein äußerst angenehmes Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit. In diesem Augenblick erschien die Welt im Lot. Die Stille war köstlich und gleichzeitig entnervend. Ich war eine solche Stille nicht gewöhnt. Ich versuchte zu sprechen, aber er brachte mich zum Schweigen. Nach einiger Zeit begann die Ruhe des Ortes meine Stimmung zu beeinflussen. Ich dachte an mein Leben und an meine persönliche Geschichte und erlebte das vertraute Gefühl der Trauer und Reue. Ich sagte, saß ich es nicht verdiente, hier zu sein, daß diese Welt stark und gerecht sei, und ich sei schwach, und daß mein Geist durch die Umstände meines Lebens deformiert worden sei.
    Er lachte und drohte, er werde meinen Kopf mit Erde bedecken, wenn ich weiter solchen Unsinn redete. Ich sei ein Mensch, sagte er. Und wie jeder Mensch verdiene ich alles, was das Los eines Menschen sei - Freude, Schmerz, Trauer und Kampf -, und es komme nicht darauf an, wie man handele, solange man nur als Krieger handele.
    Die Stimme beinah zu einem Flüstern senkend, sagte er, wenn ich wirklich glaubte, daß mein Geist deformiert sei, dann solle ich ihn einfach festigen - ihn reinigen, vervollkommnen -, denn es gebe für uns keine lohnendere Aufgabe im Leben. Den Geist nicht festigen heiße den Tod suchen, und das sei dasselbe wie nichts suchen, denn der Tod ereile uns ohnehin.
    Er machte eine lange Pause, dann sagte er im Ton unerschütterlicher Überzeugung: »Nach der Vervollkommnung des Kriegergeistes zu streben, ist die einzige unseres Menschseins würdige Aufgabe.«
    Seine Worte wirkten wie ein Katalysator. Ich empfand das Gewicht meiner früheren Taten als eine unerträgliche, hemmende Last. Ich gestand mir ein, daß es keine Hoffnung für mich gab. Ich begann zu weinen, während ich über mein Leben sprach. Ich sagte, ich sei »»lange umhergeirrt, daß ich gegen Schmerz und Trauer gefühllos geworden sei, mit Ausnahme bestimmter Gelegenheiten, wenn ich mir meines Alleinseins und meiner Hilflosigkeit bewußt wurde. Er sagte nichts. Er packte mich unter den Achseln und zog mich aus dem Käfig. Als er mich losließ, setzte ich mich aufrecht. Er bette sich

Weitere Kostenlose Bücher