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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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neben mich. Ein ungemütliches Schweigen machte sich breit. Ich glaubte, er wolle mir Zeit geben, mich wieder zu fangen. Ich nahm mein Notizbuch und kritzelte aus Nervosität etwas hinein.
    „Du fühlst dich wie ein Blatt im Wind, nicht wahr?« sagte er schließlich und sah mich an.
    Das war es, genau so fühlte ich mich. Offenbar konnte er sich in mich  hineinversetzen. Er meinte, meine Stimmung erinnere ihn an ein Lied, und er begann es mit leiser Stimme zu singen. Sein Gesang war sehr angenehm, und die Verse trugen mich davon. Ich bin so weit weg vom Himmel, unter dem ich geboren bin. Ungeahnte Sehnsucht greift nach meinen Gedanken. Jetzt, wo ich so allein und traurig bin wie ein Blatt im Wind, möchte ich manchmal weinen, möchte ich manchmal vor Sehnsucht lachen.« (Que lejos estoy del cielo donde he nacido. Immensa nostalgia invade mi pensamiento. Ahora que etoy tan solo y triste cual hoja al viento, quisiera llorar, quisiera reir de sentimiento.)
    Lange sprachen wir kein Wort. Schließlich brach er das Schweigen.
    »Seit dem Tag, als du geboren wurdest, hat immer jemand, auf die eine oder andere  Weise, etwas mit dir getan«, sagte er. »Das stimmt.«
    »Und sie haben manchmal Dinge getan, die gegen deinen Willen waren.«
    »Stimmt.«
    »Und jetzt bist du so hilflos wie ein Blatt im Wind.«
»Das stimmt, so ist es.«
    Die Umstände meines Lebens, sagte ich, seien manchmal niederschmetternd gewesen Er hörte aufmerksam zu, aber ich konnte nicht feststellen, ob er nur einfach liebenswürdig war oder wirklich Anteil nahm, bis ich merkte, daß er ein Lächeln zu verbergen suchte.
    »Ganz gleich wie gern du dich bemitleidest, du mußt das ändern«, sagte er mit weicher Stimme. »Es verträgt sich nicht mit dem Leben eines Kriegers.« Er lachte und sang das Lied noch einmal, doch diesmal verzerrte er die Betonung mancher Worte; das Ergebnis war eine lächerliche Wehklage. Der Grund, warum das Lied mir gefallen habe, meinte er, sei, daß ich in meinem Leben nichts anderes getan hätte, als an allem etwas auszusetzen und zu wehklagen. Ich konnte ihm nicht widersprechen. Er hatte recht. Doch ich glaubte, daß ich gute Gründe hatte, mein Gefühl, ein Blatt im Wind zu sein, zu rechtfertigen.
    »Das Schwerste überhaupt ist es, sich in die Stimmung eines Kriegers zu versetzen. Es hat keinen Sinn, traurig zu sein und zu klagen, und sich dazu berechtigt zu fühlen, im Glauben, daß immer jemand uns irgend etwas antut. Niemand tut irgend jemand etwas an, am wenigsten einem Krieger.
    Du bist hier bei mir, weil du hier sein willst. Du hättest bereits die volle Verantwortung übernehmen sollen, dann würde sich die Vorstellung, daß du ein Blatt im Winde bist, für dich verbieten.«
    Er stand auf und fing an, den Käfig zu zerlegen. Er schippte die Erde dorthin zurück, wo er sie hergenommen hatte, und verstreute die Stöcke sorgfältig im Chaparral. Dann bedeckte er den gesäuberten Kreis mit Pflanzenresten, so daß der Ort so zurückblieb, als hätte ihn nie jemand berührt.
    Ich machte eine Bemerkung über seine Sorgfalt. Ein guter Jäger, sagte er, würde wissen, daß wir hier gewesen sind, gleichgültig, wie sorgfältig wir die Spuren beseitigten, denn die Spuren von Menschen könnten nie völlig verwischt werden. Er saß mit untergeschlagenen Beinen und forderte mich auf, mich so bequem wie möglich mit dem Gesicht zu der Stelle zu setzen, an der er mich begraben hatte, und so zu verharren, bis meine traurige Stimmung verflogen sei.
    »Ein Krieger begräbt sich, um Kraft zu finden, und nicht um vor Selbstmitleid zu weinen«, sagte er.
    Ich versuchte, mich zu rechtfertigen, aber er unterbrach mich mit einer ungeduldigen Kopfbewegung. Er sagte, er habe mich schleunigst aus dem Käfig ziehen müssen, denn meine Stimmung sei unerträglich gewesen und er habe Angst gehabt, der Ort werde meine Weichheit übelnehmen und mich verletzen. »Selbstmitleid verträgt sich nicht mit Kraft«, sagte er. »Die Stimmung eines Kriegers verlangt Selbstbeherrschung und gleichzeitig verlangt sie Selbstvergessen.«
»Wie ist das möglich?« fragte ich. »Wie kann der Krieger sich gleichzeitig beherrschen und vergessen?« - Das ist eine schwierige Technik«, sagte er. Er schien zu überlegen, ob er weitersprechen wollte oder nicht. Zweimal war er im Begriff etwas zu sagen, aber er besann sich und lächelte.
    »Du hast deine Traurigkeit noch nicht überwunden«, sagte er. »Du fühlst dich immer noch schwach, und es hat keinen Sinn,

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