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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Körper des Tieres, und ich konnte seinen Kopf sehen. Entsetzt wandte ich mich zu Don Juan um. Das Tier war, nach seinem Körperbau zu urteilen, ein Säugetier, doch hatte es einen Schnabel wie ein Vogel. Ich starrte es mit grausigem Entsetzen an. Mein Verstand weigerte sich, dies zu glauben. Ich war völlig benommen. Ich konnte kein einziges Wort hervorbringen. Noch nie im Leben hatte ich etwas derartiges miterlebt. Dort, vor meinen eigenen Augen, war etwas Unvorstellbares. Ich wollte, daß Don Juan mir erklärte, was für ein unglaubliches Tier dies sei, doch ich konnte ihm nur etwas zumurmeln. Er starrte mich an. Ich schaute zu ihm, dann auf das Tier, und dann brachte irgend etwas in mir die Welt wieder ins Lot, und ich wußte plötzlich, was dieses Tier war. Ich trat hinzu und hob es auf. Es war ein großer Zweig von einem Busch. Er war verbrannt, und möglicherweise hatte der Wind irgendwelche verbrannten Schlacken herangeweht, die sich in dem dürren Zweig verfangen und ihm das Aussehen eines großen runden Tieres verliehen hatten. Die Farbe der verbrannten Schlacken ließen es hellbraun erscheinen, und hoben es von der grünen Vegetation ab.
    Ich lachte über meine Torheit und erklärte Don Juan aufgeregt, der Wind habe den Zweig, als er hindurchblies, wohl wie ein lebendiges Tier erscheinen lassen. Ich glaubte, Don Juan sei zufrieden darüber, wie ich das Rätsel gelöst hatte, aber er drehte sich um und stieg zum Gipfel des Hügels hinauf. Ich folgte ihm. Er kroch in die Vertiefung, die wie eine Höhle aussah. Doch es war keine Höhle, sondern eine flache Einbuchtung im Sandstein. Don Juan sammelte einige kleine Zweige und fegte damit den Sand beiseite, der sich am Boden der Vertiefung angesammelt hatte.
    »Wir müssen den Dreck fortschaffen«, sagte er. Er forderte mich durch ein Zeichen auf, mich zu setzen und sagte, ich solle es mir bequem machen, denn wir würden die Nacht hier verbringen.
    Ich fing an, über den Zweig zu sprechen, aber er gebot mir Schweigen.
    »Was du getan hast, ist kein Triumph«, sagte er. »Du hast eine wunderbare Kraft  vergeudet, eine Kraft, die diesem dürren Zweig Leben einhauchte.«
    Ich sagte, ein wirklicher Triumph wäre es für mich gewesen, wenn ich mich damit  abgefunden hätte und der Kraft gefolgt wäre, bis die Welt aufgehört hätte zu existieren. Offensichtlich war er nicht böse oder enttäuscht über mein Verhalten. Er stellte mehrmals fest, daß dies nur der Anfang sei und daß es Zeit brauchte, mit der Kraft umzugehen. Er klopfte mir auf die Schulter und witzelte ihn über, daß ich noch heute morgen derjenige gewesen war, der wußte, was real ist und was nicht.  Ich war bestürzt. Ich wollte mich für meine Neigung, meiner Sache immer so sicher  zu sein, entschuldigen.
    »Ist doch egal«, sagte er. »Indem Moment, als die Kraft den Zweig berührte, war er ein wirkliches Tier und lebendig. Da das, was ihn lebendig machte, die Kraft war, kam es darauf an, genau wie beim Träumen den Anblick auszuhalten. Siehst du, was ich meine?«
    Ich wollte noch etwas fragen, aber er brachte mich zum Schweigen und sagte, ich solle mich die ganze Nacht ruhig verhalten, aber wach bleiben, und nur er würde eine Weile sprechen, der Geist, der seine Stimme kannte, werde durch ihren Klang vielleicht bezähmt und uns in Ruhe lassen. Wenn man sich der Kraft zugänglich macht, geht es um ernste Dinge. Die Kraft ist eine vernichtende Macht, die leicht zum Tod führen kann und deshalb mit großer Vorsicht behandelt werden muß. Wenn man sich der Kraft zugänglich macht, muß das systematisch, aber immer mit großer Vorsicht geschehen.
    Dazu gehört, daß man seine Anwesenheit durch kontrolliertes lautes Sprechen oder andere Formen der geräuschvollen Aktivität bekundet, und dann muß man ein langes, vollkommenes Schweigen einhalten. Der kontrollierte Ausbruch und die kontrollierte Ruhe seien die Merkmale eines Kriegers. Er sagte, ich hätte den Anblick des lebendigen Ungeheuers eigentlich noch etwas länger aushalten sollen. Auf kontrollierte Weise, ohne den Kopf zu verlieren, ohne vor Aufregung und Furcht verwirrt zu sein, hätte ich mich bemühen sollen, »die Welt anzuhalten«. Nachdem ich den Berg hinaufgelaufen sei, meinte er, sei ich genau in dem Zustand gewesen, um »die Welt anzuhalten.« Dieser Zustand sei aus Angst, Ehrfurcht, Kraft und Tod zusammengesetzt. Es würde ziemlich schwierig sein, sagte er, einen solchen Zustand wieder herbeizuführen.
    Ich flüsterte ihm ins

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