Reise ohne Ende
ärgerlich; sie würde sofort wieder in die Ecke kriechen, in der die Musik spielte, und davon mußte sie wieder getrennt werden. Außerdem würde sie sich wahrscheinlich nicht mit besonderer Musik für sich allein besänftigen lassen. Er hatte kaum Zeit, an etwas anderes zu denken und war gerade drauf und dran, sich auf den Weg zu machen, um das Kind zurückzuholen, als Gilnosta ihm vorwarf: »Du hast mich noch nicht einmal nach deiner neuen Aufgabe gefragt, Gildoran! Oder danach, wer das Los gezogen hat und der nächste Jahreskapitän wird!«
»Richtig! Und wer wird Kapitän?«
»Gilrae«, sagte Gilnosta. »Ich glaube, sie wird ihre Sache gut machen. Alle mögen sie. Gilharrad hat uns mitgeteilt, daß er nie wieder Kapitän werden will. Innerhalb der nächsten sieben Jahre wird er den Wanderstatus annehmen. Ach ja«, sagte sie noch. »Du arbeitest mit Gilraban bei den Transmittern. Er möchte dich so bald wie möglich sehen, aber erst einmal fängst du wohl besser sie wieder ein«, meinte Gilnosta und zeigte mit ihrem Finger. Gildoran stöhnte. Das kleine Mädchen mit den Mandelaugen hatte die Musik-Ecke erreicht.
Gildoran rannte hinter ihr her und holte sie ein. »Du solltest eigentlich im Bett liegen, du kleiner Affe«, schimpfte er, trug sie mit fester Hand zu der Hängematte zurück und schnallte sie an. Sie antwortete: »Will trommeln!«
»Morgen kannst du trommeln«, sagte er und bereitete sich auf einen weiteren Anfall von Gebrüll vor, aber sie überraschte ihn wieder, kuschelte sich in ihre Hängematte, lächelte strahlend zu ihm hoch und sagte: »Kuß.«
Er nahm sie in den Arm und küßte sie auf eine samtweiche Wange. Sie bleichte schon aus. Sie trug nicht mehr die rosige Farbe, an die er sich erinnerte, und die langen Wimpern auf ihren Wangen hatten nicht mehr die Farbe der Sternenlosen Leere. Als er wieder zu Gilnosta ging, sprach er zum erstenmal bewußt den Gedanken aus.
»Ich kann mir nicht helfen – ich bin so froh, daß sie nicht gestorben ist.«
Sie nickte ohne Worte. Das würde bei ihr immer eine empfindliche Stelle bleiben, nahm er an. Er fragte sich, ob sie sich wie er dabei erwischt hatte, daß sie die Kinder liebte und ihnen mehr als die normale Dosis von Streicheleinheiten und Umarmungen zukommen lassen hatte, die die Kinder zu benötigen schienen, um nach den komplizierten Operationen und der langen Genesungszeit überleben zu können.
Wenn wir die anderen so geliebt hätten, wie ich diese hier liebe, hätten sie dann auch überlebt?
Er fragte sich, ob Gilnosta diese Überlegung ebenfalls anstellte, ob es für sie die gleiche blasser werdende, aber nie ganz verheilte Erinnerung war, wie es Giltallens Desertion und Gilmarins Tod für ihn waren. Hatte jeder eine solche vergrabene Erinnerung, die man mit niemandem teilte, weil durch eine Teilung die Last nicht leichter wurde?
Genug, dachte Gildoran. Der Dienst in der Kinderstation war zu Ende. Er hatte das Privileg genossen, eine neue Generation von Spähern zu formen, und jetzt war es Zeit, etwas anderes zu tun. Er nahm einen Fahrstuhl nach oben zur Transmitter-Station.
2
Giltallen wußte wie alle Späher in groben Zügen, wie ein Transmitter aufgebaut war. Er hatte seine ersten Lektionen darüber, wie der Transmitter theoretisch funktionierte und wie er zusammengesetzt war, im biologischen Alter von acht Jahren bekommen. Die Beherrschung der komplizierten mathematischen Probleme des Computeraufbaus und seiner Verbindung mit dem Transmitter waren jedoch eine ganz andere Sache.
»Der Computer der Samtfalter erledigt natürlich meistens den größten Teil davon«, sagte Gilraban am ersten Tag. »Computer können aber auch versagen, wenn es auch ein Sakrileg ist, das auszusprechen, und du mußt in der Lage sein, damit fertig zu werden, wenn du wirklich einmal eine völlig verrückte Antwort bekommst, und vor allem mußt du es erst einmal merken – du darfst das nicht einfach akzeptieren, was er dir anbietet. Das Talent dazu hast du – weißt du, ich habe damals, als du noch in der Kinderstation warst, deinen IQ getestet.« Gildoran hatte das nicht gewußt.
»O ja, ihr wart unsere Babys, Gilraes und meine«, sagte Gilraban. »Wir hatten in diesem Jahr Dienst in der Kinderstation – damals haben sie versucht, immer eine Frau und einen Mann einzuteilen, aber dazu ist jetzt unsere Mannschaft zu knapp, und sie teilen nur noch eine Person ein und sehen zu, daß die Ärzte vom anderen Geschlecht sind, wenn sie das
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