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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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in den Vereinigten Staaten als „eine Periode reich an Erfahrungen; dieses Amerika mit seiner […] ungeheuren Vielfalt, dieser Offenheit, der Art und Weise, wie manche Dinge ins Rollen kommen“. Ein Bekannter meinte zu erkennen, dass sich Flechtheim durch den Aufenthalt in den USA grundlegend verändert habe: „Vom gänzlich introvertierten, verschlossenen ungeselligen Menschen“ sei Flechtheim „zu einem welt- und menschen-offenen, menschliche Beziehungen suchenden, kommunikationsfähigen Menschen“ geworden. 4
    |46| Erika Mann war ähnlich begeistert von den USA:
    Ich liebe Amerika. [...] Ich habe so viele Freunde hier. Zum ersten Mal seit der Flucht aus Deutschland bin ich irgendwo beinah zu Hause. 5
    Zwar hatte sie es nicht geschafft, ihr Kabarett in den USA weiterzuführen, wie sie gehofft hatte. Die ersten New Yorker Auftritte der „Pfeffermühle“ mit einem englischsprachigen Programm im Januar 1937 waren ein grandioser Misserfolg, denn die sprachlichen Differenzen waren zu groß und die politischen Anspielungen zu subtil für ein Publikum, das die Lage in Europa meist nur aus zweiter Hand kannte; außerdem war die deutsche bzw. europäische Tradition des politischen Kabaretts in den USA weitgehend unbekannt. Damit endete Erika Manns Karriere als Kabarettistin, aber es gelang ihr, auf anderen Gebieten Fuß zu fassen. Sie arbeitete für internationale Zeitungen und Zeitschriften, verfasste im Auftrag der britischen Regierung Sendungen für die BBC und schrieb Kinderbücher und Dokumentationen.
    Ihr erfolgreichstes Buch war
Zehn Millionen Kinder
, das 1938 gleichzeitig auf Deutsch und Englisch
( School for Barbarians
) erschien. Darin beschrieb sie, wie das NS-Regime die deutschen Kinder indoktrinierte und die Erziehung und Bildung ganz an seinen ideologischen Vorgaben ausrichtete. Das Buch wurde sofort ein Bestseller, seine Autorin auf diese Weise eine der begehrtesten und bestbezahlten Rednerinnen in den USA. Vor großem Publikum sprach sie an amerikanischen Universitäten, Vereinen, Gewerkschaften und Exilorganisationen über die politischen und kulturellen Entwicklungen in Deutschland. Zugleich führte sie ihre Tätigkeit als Reporterin fort: Sie berichtete über den Spanischen Bürgerkrieg, später über die deutschen Luftangriffe auf England und, seit 1943 im Auftrag der US-Armee, über den Zweiten Weltkrieg. All diese Aktivitäten brachten sie in engen Austauschkontakt mit amerikanischen Intellektuellen, Politikern und Künstlern und halfen ihr, sich in den USA zu Hause zu fühlen. 6 |47| Für andere, die weniger prominent waren und weniger prestigereichen Berufen nachgingen bzw. nachgehen mussten, nicht so kosmopolitisch, sprachgewandt und selbstbewusst waren wie Erika Mann, blieb das Exilland lange Zeit fremd.
     
    Exilgemeinden als Heimatersatz
     
    Sich darum zu bemühen, Anschluss an die neue Gesellschaft zu finden, setzte voraus, dass die Emigranten voraussahen und akzeptierten, dass sie nicht nur für einige Monate, sondern für längere Zeit im Exil bleiben würden. Damit konnten sich vor allem ältere Exilanten nur schwer abfinden. Viele von ihnen lebten über Jahre hinweg ein ausgesprochen provisorisches Leben in Hotelzimmern oder untergemieteten Wohnungen und mit zusammengestückelten Möbeln. Ihre sozialen Kontakte beschränkten sich überwiegend auf die Exilgemeinden, und viele von ihnen lernten die jeweilige Landessprache nur bruchstückhaft. Viele der älteren Deutschen, die nach Palästina gingen, lebten dort ein relativ „deutsches“ Leben. Sie wohnten nah beieinander und trafen sich mit den anderen „Jeckes“, wie die deutschen Juden in Palästina genannt wurden, in Cafés, „die sie so sehr an die hinter ihnen gelassenen Kaffeehäuser Berlins, Münchens und Frankfurts erinnerten. Sie sprachen über die Reinheit der deutschen Sprache und achteten auf Pünktlichkeit, ordentliche Kleidung, gute Sahne und gute Manieren (in dieser Reihenfolge)“ 7 . Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, zu behaupten, diese Menschen hätten isoliert und rückwärtsgewandt versucht, ihr früheres Leben unverändert fortzusetzen; das würde unterstellen, dass man die eigene Kultur aufgeben muss, um sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Viele deutsche Exilanten in Palästina versuchten, ihre Ideen und Gewohnheiten zu pflegen und gleichzeitig Teil der in der Entstehung begriffenen israelischen Gesellschaft zu werden.
    Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, wie schmerzhaft die

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