Reise ohne Wiederkehr
Gruppierungen ab. Der sozialdemokratische Soziologe und Gewerkschafter Fritz Croner (geboren 1896 in Berlin, gestorben 1979 in Stockholm), der 1934 nach Schweden emigrierte, schrieb darüber:
Wir hielten ganz bewusst wenig Kontakt mit der recht großen deutschen Emigrantenkolonie in Stockholm. Wir wollten nichts anderes als so schnell wie möglich ins schwedische Leben hineinwachsen, und es wurde mir bald klar, dass es nahezu unmöglich war, wenn man versuchte, auf zwei Beinen gleichzeitig zu stehen, sozusagen auf einem alten deutschen und einem neuen schwedischen. 13
Croner hatte Schweden als Exilland gewählt, weil er dessen politische Struktur vorbildlich fand. Aus diesem Grund war seine Bereitschaft, sich in die schwedische Gesellschaft zu integrieren, verständlicherweise weit größer als die vieler Flüchtlinge, die Schweden keine speziellen Sympathien entgegenbrachten, sondern einfach froh waren, den Nationalsozialisten entkommen zu sein.
|53| Arbeit und Beruf – Professioneller Abstieg und neue Chancen
F ritz Croner gelang es relativ rasch, in Schweden Fuß zu fassen, doch die Mehrzahl der Exilanten war zumindest zeitweise vom Problem der Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Unsicherheit geplagt. Die Geschichte der vierköpfigen Familie Blumenthal aus Oranienburg bei Berlin ist ein Beispiel dafür, wie mühsam das Überleben im Exil sein konnte. Nachdem Ewald Blumenthal, ein Kaufmann, 1939 enteignet und interniert worden war, floh die Familie von Berlin nach Neapel und von dort mit einem japanischen Schiff über Indien, Singapur, Hongkong und Taiwan nach Shanghai. Die meisten Flüchtlinge, die aus Deutschland nach Shanghai kamen, wurden von den verschiedenen Hilfskomitees in Hongkou untergebracht, dem chinesischen Stadtteil, der durch den japanisch-chinesischen Krieg zum Teil zerstört war. Anders die Blumenthals: Ihnen gelang es, ein Zimmer im sogenannten International Settlement zu bekommen, in dem die westlichen Ausländer lebten. Die ältere Tochter nahm eine Stelle als Kindermädchen bei einer portugiesischen Diplomatenfamilie an, bei der sie auch wohnte; ihr jüngerer Bruder, Michael, lebte bei den Eltern.
Während das Ehepaar Blumenthal unter dem tropischen Klima, dem Lärm und Gedränge, der Armut und Unüberschaubarkeit der Millionenstadt Shanghai litt, empfand Michael die neue Umgebung als aufregend. Er hielt sich auf den Straßen auf, lernte die Rikscha-Fahrer kennen, freundete sich mit anderen ausländischen Kindern an und trat den internationalen Pfadfindern bei – eine besondere Genugtuung, da er in Berlin nicht Mitglied der Hitlerjugend hatte werden |54| dürfen, und nun endlich doch eine Uniform bekam. Zur Schule ging er auf die Shanghai Jewish School, die von sephardischen Juden finanziert und auf Englisch abgehalten wurde. Unterdessen versuchte seine Mutter, die gut nähen konnte, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um den Familienunterhalt zu sichern. Sie kaufte auf Kommission Stoffe von einem jüdischen Händler und fuhr damit zu den russischen Modegeschäften, in denen die reichen westlichen Damen einkauften. Ihr Ehemann versuchte sich mit anderen Emigranten selbstständig zu machen, scheiterte jedoch nach kurzer Zeit. Beide hatten kaum Kontakt zu den Chinesen und lernten nur bruchstückhaft Englisch; wie die anderen Exilanten planten auch sie, die vermeintliche Durchgangsstation Shanghai so bald wie möglich zu verlassen. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 machte ihre Hoffnungen vorerst zunichte: Die Japaner marschierten in die Stadt ein und besetzten sie; die westlichen Ausländer galten nun als Feinde, Nahrungsmittel und Geld wurden knapp. Michael Blumenthal verließ mit sechzehn Jahren die Schule, um als Laufbursche zum Familieneinkommen beizutragen.
Im Februar 1943 ordneten die Japaner an, dass alle jüdischen Flüchtlinge in das chinesische Viertel der Stadt ziehen mussten; dort entstand faktisch ein Ghetto mit 18 000 Bewohnern, unter ihnen die Blumenthals. Mit vielen anderen bemühte sich Michael um eine Genehmigung von den japanischen Behörden, um außerhalb des Ghettos Geld verdienen zu können. Die Niederlage Japans gegen die Alliierten im August 1945 bedeutete auch das Ende der Internierung, und die Blumenthals hofften, nun so bald wie möglich in die USA ausreisen zu können. Bis dies gelang, vergingen allerdings noch zwei Jahre, denn die Familie galt als staatenlos und hatte kein Geld. Als die Vereinigten Staaten 1947 eine neue Visumsklasse
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