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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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besonders für jene, die gerade erst der Lagerhaft entkommen waren.
    Die Motulskys fanden Zuflucht in Belgien; Arnos Vater gelangte in der Zwischenzeit nach Chicago und besorgte amerikanische Visa für die Familie. Doch bevor sie sich auf die Reise in die USA machen konnte, marschierten die Deutschen in Belgien ein. Arno wurde in französischen Lagern interniert. Nach mehreren Monaten kam er in ein Lager in der Nähe von Marseille. Dort bemühte er sich beim amerikanischen Konsulat darum, sein inzwischen abgelaufenes Visum erneuern zu lassen. 1941 kam das Visum endlich an, und Arno machte sich auf den Weg nach Spanien, um von dort nach Lissabon zu gelangen, wo das Schiff nach New York abfuhr. Dort angekommen, fuhr er weiter nach Chicago, wo er seinen Vater wieder traf. Arnos Mutter und Geschwister hatten weniger Glück. In Brüssel erhielten sie einen Bescheid, dass sie „in den Osten umgesiedelt“ würden, was mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Tod bedeutet hätte. Es gelang ihnen mit Hilfe belgischer Freunde, in die Schweiz zu flüchten, wo sie den Krieg in Internierungslagern überlebten. Erst 1946 erfuhren Arno und sein Vater, dass ihre Familie am Leben war. 22

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    |39| ERFAHRUNG DIE DES EXILS
    Waren die Flüchtlinge an ihrem Exilort
     
    angekommen, mussten sie meist ganz
     
    von vorn beginnen: Eine Wohnung
     
    und Arbeit ergattern, eine neue Sprache
     
     lernen und sich in einer fremden
     
    Kultur zurechtfinden. Einigen bot das
     
    Gastland unerhoffte Möglichkeiten,
     
    andere fühlten sich von den harten
     
    Bedingungen überfordert. Exilantengruppen
     
    boten oftmals eine Art
     
    Heimatersatz und schufen ein will-
     
    kommenes Betätigungsfeld.

|40| Neue Heimat? Ankunft, (Ein)Leben und Identität in der Fremde
    F ür zahlreiche Flüchtlinge stellte die Reise trotz der häufig unangenehmen Bedingungen auf den Schiffen eine gewisse Erleichterung dar, weil sie eine kurze Pause von den alltäglichen Drangsalierungen und Konflikten mit Behörden hatten. Mit der Ankunft im Exilland kam meist eine neuerliche Welle an Herausforderungen auf sie zu. Wer Familie, Freunde oder Bekannte im neuen Land hatte, befand sich in einer vergleichsweise vorteilhaften Situation. Diejenigen, denen entsprechende Kontakte fehlten, waren auf sich gestellt, wenn es darum ging, eine Wohnung und Arbeit zu finden. Häufig reichten die mitgebrachten Ersparnisse nur für kurze Zeit. Dann mussten die Exilanten tendenziell schlecht bezahlte Tätigkeiten annehmen, in provisorischen Unterkünften wohnen und ihren verbliebenen Besitz verkaufen. Für Überlegungen, wie es langfristig weitergehen sollte, blieb dabei wenig Raum. Somit war die Phase der Ankunft im Exil häufig eine Zeit der Improvisationen, die hohe Anforderungen an jeden einzelnen stellte. Hans Rosenberg, ein Historiker, der Ende der Dreißigerjahre in die USA geflohen war und vergleichsweise gute Startbedingungen vorfand, beschrieb die Situation so:
    Die Umstellung auf eine mir noch wenig vertraute Sprache, eine sehr komplexe politische Kultur, eine vielfach andersgeartete gesellschaftliche Wertewelt und zwanglosere Lebensart als die gewohnte; die Einordnung in wesensverschiedene, für mich völlig fremdartige Lebensverhältnisse; der Aufbau einer neuen Existenz unter schwierigen |41| äußeren Bedingungen sowie ein ungewöhnlich hohes Maß an weitgespannten Lehrverpflichtungen und akademischer Verwaltungsarbeit – all das und noch vieles andere [...] nahmen meine ganze Kraft in Anspruch. 1
    Wenn schon das Einleben in einem Land wie den Vereinigten Staaten aufreibend war, bedeutete das Exil in Süd- und Lateinamerika, Afrika und Asien häufig die Konfrontation mit einer ganz und gar unverständlichen Umgebung – angefangen von der Sprache über das öffentliche Auftreten, das Verhandeln mit Behörden und die Lebensqualität, die durch schwache Infrastrukturen und ungewohnte klimatische Verhältnisse beeinträchtigt war. Allerdings ergaben sich aus dem Versuch der Exilanten, die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, häufig Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen oder zumindest aufzubessern. So fingen viele an, jene Lebensmittel und Bedarfsgüter herzustellen, die in den Exilländern nicht zu bekommen waren – anfangs für sich und die lokale Exilgemeinde, dann in zunehmendem Maße für einen Kundenkreis, der über die Flüchtlinge hinausreichte. Meist begannen Familien mit Heimarbeit und vergrößerten sich dann allmählich. Einige schlossen

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